Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Dein Name

Titel: Dein Name Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Navid Kermani
Vom Netzwerk:
zweier Leben nach der legendären Pressekonferenz im Frankfurter Hof abgeschlossen sein wird. Es steht nicht schlecht um Deutschland.
    Zum ersten Mal hat er einige Absätze aus dem Roman vorgetragen, den ich schreibe: ein Reinfall vom Anfang, als der Romanschreiber die Bühne betrat, bis zum Ende, als er die Diskussion mit den Zuhörern abwürgte, die nach den Romanen fragten, die er früher schrieb. Die Migräne meinte er mit Sensorenblockern in den Griff bekommen zu haben, aber als er zu lesen anfing, schoß der Puls in die Höhe, klopfte es wieder von innen gegen die Schädelwand und wurde ihm schwindelig, so daß er nicht mehr die Mahnung der Sprechtrainerin zu befolgen vermochte, die Sätze im Ausatmen zu beginnen, obwohl er es sich nach jedem Punkt von neuem vornahm, und da waren es noch mindestens vierzig Minuten inklusive Fragen, bevor er vom Tisch aufstehen durfte. Was tue ich hier? entfuhr es ihm laut genug, um in der ersten Reihe gehört zu werden, als er das Stück über Madjid Kawussifar las, entweihe ein Gedächtnis und verderbe fünfundzwanzig Literaturinteressierten den Abend mit der Beschreibung einer Hinrichtung, als sollten sie sich empören. Hätte er sich Gedanken gemacht, hätte er ohnehin einen vertrauten Ort gewählt, um zum ersten Mal aus dem Roman zu lesen, den ich schreibe, nicht das neutrale Publikum eines Festivals in kleinen Sälen, wo keine Dynamik der Selbstanfeuerung entsteht und sich der Mißerfolg der Lesung als permanentes Stühlerücken, Husten und Tuscheln im eigenen Ohr bezeugt. – Wie soll der Roman denn heißen, fragte eine Dame, ohne daß er ihr das Wort erteilt hätte. – In Frieden , antwortete er dennoch. – Wie in Frieden?, murrte sie, in Frieden, Ruhe in Frieden oder was? – Einfach nur In Frieden : Nein, nicht Der Frieden , nicht Über den Frieden und auch nicht Krieg und Frieden – In Frieden soll der Roman heißen, den ich schreibe, In Frieden wie auf dem Friedhof oder als Huldigung an die Spelunke, an die Kant dachte – zufällig dachte, wie er selbst betonte –, als er sein Traktat schrieb. Der Romanschreiber hielt sich noch, hielt stand, die ganze schlaflose Nacht unter drei Sternen. Allmählich ließ auch die Migräne von ihm ab. Die Mail, die ihn vor dem Frühstück in die Schwermut stürzte, stammte wieder von einer Fremden, einer der fünfundzwanzig Literaturinteressierten, die nichts mit dem Roman anfangen konnte, den ich schreibe, aber es nicht böse meinte, nicht einmal das, nur enttäuscht war, weil sie sich den Romanschreiber anders vorgestellt, klüger, tiefer, beeindruckender, wollte vielleicht nur die Bestätigung, ihn in einem ungünstigen Moment angetroffen zu haben. »Vielleicht empfinden Sie es als unverschämt aufdringlich, wenn ich Ihnen dies schreibe, aber ich hatte gestern abend den Eindruck, Sie seien genervt oder unglücklich«, begann die Literaturinteressierte die Nachricht noch freundlich. Was folgte, wäre nicht nötig gewesen, um sich begreiflich zu machen. Im Hof steigt am Montag, dem 17. Dezember 2007, um 12:18 Uhr der schmächtige Bulgare mit dem Schnurrbart aus seinem Kombi, dem die Hälfte des Paradis gehört. Zum ersten Mal hat er eine Begleitung dabei, eine langhaarige, attraktive Südländerin von vielleicht Anfang Vierzig, die der Nachbar ihm nicht zugetraut hätte. Der Schmächtige selbst wirkt aus der Ferne entspannter als früher vor seinen Mobiltelefonen, trägt statt des dunklen Anzugs eine helle Freizeithose und braune Jacke. Nein, es scheint ihm besserzugehen, seit die Geschäfte laufen. Und die Geschäfte des Nachbarn? Schreibt tagein, tagaus, anderthalb Jahre schon, in der Urschrift inzwischen 885 Seiten, die wer weiß wieviele Druckseiten ergäben, und fragt sich schon gar nicht mehr, wer sich für seinen Import-Export interessieren könnte. Er weiß ja längst selbst, daß er bankrott ist, und hat leider keine anderen Geschäfte am Laufen. Für seine Hybris, sich gegen den Tod aufzulehnen, bestraft ihn Gott durch die Aussichtslosigkeit, je zu einem Ende zu gelangen oder nur zu einem Vorsprung, von dem aus er zurückblicken könnte. In der Dunkelheit, die auch ein Frieden ist, schreitet er, ohne Hoffnung, jemals anzukommen, ohne jede Orientierung. Aber aufzugeben erscheint wie vor dem Paß von Asadabad unmöglich. Bergab würde es in der

Weitere Kostenlose Bücher