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Waggon. â Seid ihr wohl ruhig! brüllt die Mutter noch lauter. Und wenn ihre Kinder den Zug gleich zum Entgleisen brächten, will der Handlungsreisende jetzt noch die Anekdote seines GroÃvaters zuende bringen, der mit schlotternden Knien den Boden von Bandar Osulyeh oder so ähnlich betritt â nichts geschieht, niemand stürzt sich auf ihn, um ihn zu ermorden, niemand ist überhaupt zu sehen. Bange Stunden später, als die Bewohner in ihre Häuser zurückkehren, erfahren Kapitän Abdolrahman und der junge Zollbeamte aus Isfahan, daà der Stammesführer das Dorf vor Tagen verlassen hat. Mit einem höflichen Schreiben, das alle denkbaren Garantien enthält, bitten sie darum, ihn besuchen zu dürfen. Als der Stammesführer sie abends empfängt, entschuldigen sich Kapitän Abdolrahman und der junge Zollbeamte vielmals für die Bombardierung, beteuern ihre Unschuld und flehen ihn an, das ausstehende Geld zu zahlen, da auf ihrem Kriegsschiff ein Irrer aus Belgien den Befehl führe, der keine Skrupel habe, Bandar Osulyeh oder so ähnlich in Schutt und Asche zu legen, als erstes jedoch sie, den Kapitän und den Zollbeamten, auspeitschen werde, sollten sie mit leeren Händen auf das Schiff zurückkehren. Der Stammesführer staucht die beiden wie Schulbuben zusammen, daà sie sich für Barbaren verdingten, bevor er zu ihrer Ãberraschung einwilligt. â Sagte ich nicht, daà ich die Menschen im Süden kenne? fragt Kapitän Abdolrahman, als sie nachts zurück nach Bandar Osolyeh oder so ähnlich reiten. â Voilà , schnalzt Monsieur K-L-T mit der Zunge, als der junge Zollbeamte am frühen Morgen sechzigtausend Tuman überreicht.
Die Freundin, die Bahai ist, führte gestern ein Interview für einen Fernsehbeitrag über Gewalt in türkischen Familien, vor allem über Gewalt gegen Kinder. Jetzt laà uns nicht auch noch mit dem Thema anfangen, hatte sie der Chefredakteurin zunächst gesagt, siehst du nicht die Agenda, die dahintersteht? Eben weil ich sie sehe, will ich, daà jemand wie du den Bericht drehst, überzeugte die Chefredakteurin die Freundin, die als Bahai mit allen Minderheiten fühlt. Was sie herausfand, hatte sie nicht erwartet. â Navid, das ist erschütternd, sagte sie dem Nachbarn, die Zahlen ebenso wie die Schicksale, wo sie nur antippt. Für ihren Beitrag muà sie nicht in den Frauenhäusern oder bei der Caritas suchen, um Frauen zu finden, die von ihrem Vater verprügelt oder zur Heirat gezwungen wurden. Es reicht, sich umzuhören, um die vierzig Prozent bestätigt zu finden, die die Statistik aufweist, wenn der Nachbar die Zahl richtig behalten hat. Prügel ist die Regel, wie vor hundert Jahren in Isfahan, und insbesondere die Tochter vielen Vätern ein Eigentum. In einer Klasse in der Vorstadt, wo er nie hinkommt â nicht einmal den Namen des Stadtteils hatte er je gehört â, meldeten sich auf die Frage der Freundin, wer zu Hause regelmäÃig geschlagen werde, fast alle Kinder von Muslimen, also auch die Libanesen und Kurden, fast die ganze Klasse. â Wir müssen unserer eigenen Anschauung miÃtrauen, sagte der Nachbar, den Erfahrungen in den bürgerlichen Familien, der eigenen Nachbarschaft, den Schulen unserer Kinder, die nun einmal nicht der Kriegsschauplatz sind, von dem die Zeitungen immer schreiben. Die Freundin meinte, daà sie auch hinterm Bahnhof fündig geworden sei, da drüben das Teehaus: Siehst du den links in der schwarzen Jacke? Sie schaut genau hin und er nicht. In Indien zerrt er seinen Ãbersetzer auf die Müllkippe, aber in Köln kannte er nicht einmal den Namen des Vororts, in dem die Freundin dreht. Er könnte sich im Jugendzentrum umsehen, in dem eine abendfüllende Dokumentation über Haà und Perspektivlosigkeit gedreht wurde, nur einen StraÃenblock entfernt, oder die närrische Alte in Knallgelb ansprechen, die jede Nacht im Imbià mit den jungen Arabern zu flirten versucht (auch dem Nachbarn hat sie schon verführerische Blicke zugeworfen), er könnte den Transsexuellen auf einen Kaffee einladen, der oder die immer traurig guckt in seinem Minirock, aber auch wirklich zu dick ist, er könnte sich zu der Kleinwüchsigen setzen, die vormittags vor der Eisdiele ihr Kölsch trinkt â Man gönnt sich ja sonst nix, ruft sie ihm fröhlich zu, wenn sie seinen Blick auffängt â, oder den
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