Dein Name
Joghurtbechern, weil es Kölsch nur nebenan gibt. Erst jetzt, da die türkische Gasse kein Bühnenbild mehr ist, überschneiden sich die Laufwege wirklich, nicht nur der Bildungsbürger mit den Gemüsehändlern. Allein das Teppich-Paradis und allenfalls die Brautmode verweigern sich der Integration der Deutschen, Iraner und anderer Fremder, insofern sie keine Ãbergänge zulassen, denn wer interessiert sich schon für die maschinengewebten ScheuÃlichkeiten auÃer den Türken selbst, ganz bestimmten Türken, nicht die Studenten der zweiten Generation, nicht die schwarzen BMW s, wenn schon deren Eltern. Der Nachbar findet das in Ordnung. Auch die Römer hatten ihre Bäder in Köln, die Briten in Indien Clubs, die Amerikaner in Teheran Kirchen, in denen sie lange nach dem Ende ihrer Herrschaft unter sich blieben. Beinah alle Frauen, die im Paradis verkehren, sind älter und tragen Kopftuch wie Mantel so unförmig wie in türkischen Vorstädten üblich, wo sie die traditionelle Farben- und Schnittvielfalt der Dörfer, aus denen ihre Eltern stammen, gegen den modernen Einheitssack eingetauscht haben. An ihrer uniformen Kleidung sind Landflüchtige seit Beginn der Industrialisierung zu erkennen, schon im London von Charles Dickens oder New York von Henry James. Der Nachbar hat eine beigeschwarzmelierte FuÃmatte gekauft, auf der nun seine Schuhe stehen, zum Hammer Preis, versteht sich, in Hammer Optik.
Ich sollte an dieser Stelle etwas über GroÃvaters Physiognomie schreiben. Auf der Wahlkampfbroschüre ungefähr aus dem Jahr 1950 sieht er bereits aus wie in meiner Erinnerung, die Glatze, die sich abzeichnet, mit den damals erst grauen kurzgeschorenen Haaren an den Schläfen, die helle Gesichtsfarbe, die abstehenden Ohren, dann dieser angestrengte Ernst: die heruntergezogenen Mundwinkel und die senkrechten Falten zwischen den kräftigen Augenbrauen, der innerhalb des bürgerliches Milieus ungewöhnliche Stoppelbart, der die religiöse Gesinnung anzeigte und heute von den Funktionären der Islamischen Republik getragen wird, vor allem aber dieser wirklich kugelrunde Kopf, der den ernsten Gesichtsausdruck konterkariert. Vielleicht blickt er eben wegen des BewuÃtseins, niemals ganz dem Bild zu entsprechen, das er von sich gibt, etwas verloren in den Horizont. Er war auch für iranische Verhältnisse sehr klein, höchstens 1,65 Meter, schätze ich, wahrscheinlich noch kleiner, und schon ungefähr 1950 recht beleibt, ohne daà er im eigentlichen Sinne dick wirkte oder gar verfettet, eher so, als wäre sein Bauch genauso rund wie der Kopf, nur gröÃer. Im Wohnzimmerschrank der Eltern in Siegen fand ich auch ein Photo, das höchstens zwanzig Jahre früher aufgenommen worden sein kann, aber einen anderen Menschen zeigt. Es ist ein Belegschaftsphoto der Nationalbank in Isfahan, die man sich nicht wie eine Stadtteilfiliale der Sparkasse vorstellen darf, sondern mit fünf, sechs Reihen von je zehn, zwölf Mitarbeitern, europäisch gekleidet, die Frauen natürlich ohne Kopftuch, auf einem Stuhl der ersten Reihe neben dem älteren Bankdirektor GroÃvater als sein Stellvertreter: ein schmales, irgendwie verhuschtes junges Männchen mit schwarzen Haaren, der auch ein Laufbursche sein könnte, wenn er nicht gerade in der Mitte säÃe und den schicken Anzug trüge. Sein Hitlerbart war Anfang der dreiÃiger Jahre bei den Intellektuellen in Mode, auch Sadeq Hedayat trug ihn, der bedeutendste iranische Schriftsteller des zwanzigsten Jahrhunderts, und drückte keine Sympathie für den Nationalsozialismus aus, den damals nur wenige kannten. Wenn überhaupt â dies nur eine Vermutung â war das Bärtchen, weil von den Deutschen übernommen, die als Gegner der Briten galten, ein Zeichen antikolonialer Gesinnung. GroÃvater sah damit ohnehin nicht wie Adolf Hitler aus, sondern mehr wie Charlie Chaplin. Nochmals zehn oder fünfzehn Jahre zurück, um 1919, fährt dieser schmächtige, kleine Isfahani mit den damals sicher noch viel bänglicheren Augen auf der Persepolis , der gröÃten Fregatte der zugegeben sehr kleinen iranischen Kriegsflotte, verfolgt mit dem vierschrötigen Inspekteur aus Belgien die Schmuggelbanden im Persischen Golf und treibt bei den Stämmen entlang der Küste den Zoll ein. Seit einem Monat unterwegs, der für den jungen Zollbeamten aus Isfahan aufregend genug
Weitere Kostenlose Bücher