Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Dein Name

Titel: Dein Name Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Navid Kermani
Vom Netzwerk:
– wer sagte ihm denn, daß Mir Barekat ihn nicht mit einer Kugel aus seinem Gewehr oder dem Dolchhieb eines Wachmanns begrüßte? Wer käme, vierzig Farsach vom nächsten Dorf entfernt, wo sich die Staatsgewalt auch nur auf ein einziges Zimmer in der Ruine einer Karawanserei beschränkte, wer käme Großvater zu Hilfe? Die indischen Telegraphisten, denen Großvater beim Fünfuhrtee kleinlaut den Mißerfolg seiner Mission gestand, boten an, ihn mit dem besten Dromedar auszustatten, einem schnellfüßigen Djamâzeh , dazu einem besonders bequemen Sattelgerüst und drei bewaffneten Belutschen als Begleitung. Als Großvater sich immer noch nicht traute, auf einem Kamel vierzig Farsach durch die Wüste zu reiten, befahlen die Inder einem Bediensteten, nicht etwa die Belutschen, sondern das Reittier mitsamt Sattel herbeizuholen. Tatsächlich, der Sattel sah aus wie ein Sessel. Das Dromedar legte sich nieder. – Setzen Sie sich ruhig, sagten die Inder, Sie werden sehen, das ist bequemer als mit der Eisenbahn. Großvater hatte noch nie in einer Eisenbahn gesessen, nicht einmal eine Eisenbahn mit eigenen Augen gesehen, aber als ihn das Dromedar in die Höhe beförderte, glaubte er es sofort. Wie in heutigen Flugzeugen war der Sattel sogar mit einen Anschnallgurt ausgestattet, bemerkt Großvater und beeilt sich zu gestehen, daß er sehr wohl noch Angst hatte und nur deshalb das Angebot annahm, weil die Scham überwog, vor den so wohlmeinenden Indern, die sich am Persischen Golf noch viel fremder fühlen mußten, als Feigling dazustehen.
    Als sie gegen Abend des ersten Tages von weitem einige Basthütten sahen, aus denen die Nomaden flohen, fingen die drei Belutschen an zu lachen. – Warum lacht ihr? fragte Großvater. – Weil die Nomaden uns für Männer von Mir Barekat Chan halten, erklärten die Belutschen in ihrem gebrochenen Persisch und hielten ein weißes Tuch in die Höhe. Vor den Hütten erwartete sie der Älteste mit einer Fackel in der Hand, ein großgewachsener, gutaussehender Mann mit langem weißem Bart, das Kinn nach paschtunischer Art rasiert, wie es Großvater zuvor noch nie gesehen hatte (nicht, daß ich wüßte oder bis nach China herausgefunden hätte, wie Paschtunen sich vor neunzig Jahren rasierten). Als Gastgeschenk überreichte Großvater dem Ältesten einige Schachteln Streichhölzer, die wie ein kostbarer Schatz von Hand zu Hand gereicht wurden. Vor Ehrfurcht auf die Knie sanken die Nomaden aber, als die Belutschen, um sich einen Spaß zu machen, Großvater als Gesandten des Schahs vorstellten, der Mir Barekat Chan zur Rechenschaft ziehen werde. Wie Großvater sich aus ihren Fragen zusammenreimte, glaubten die Nomaden, daß er in Teheran täglich mit dem Schah verkehre; sie erkundigten sich nach dessen Charakter und wollten alles mögliche über den Alltag im Palast erfahren, obwohl Großvater immer wieder beteuerte, niemals einen Palast betreten zu haben. Die Schilderung des Putsches schienen die Belutschen als den Bericht eines Augenzeugen auszugeben, der bei den dramatischen Vorgängen nicht nur anwesend, sondern federführend beteiligt war. Wie froh waren die Nomaden, daß die neue Regierung Großvater geschickt hatte, um Recht und Gesetz durchzusetzen. Wenn Mir Barekat Chan mit seinen Gefolgsleuten an ihren Hütten vorbeireite, nehme er sich mindestens eine Ziege, ein paar Hühner mit oder tausche sein lahmes Vieh gegen ihr junges Kamel ein. Und das nur, wenn er gute Laune mitbringe. Wenn Mir Barekat Chan schlechtgelaunt sei …
    Als der Inspekteur des Zollamts von Bandar Abbas am sechsten Tag in völliger Erschöpfung und noch größerer Sorge Kuschk erreicht, ist Gott steh mir bei Mir Barekat Chan gerade verreist. Morgen oder vielleicht übermorgen kehre er bestimmt zurück, versichern die Angehörigen, die dem Inspekteur eine Hütte anbieten. Am übernächsten Tag schreckt ihn ein großes Getöse auf. In der Annahme, daß es sich um den Überfall handele, den er seit seiner Ankunft minütlich erwartet, tritt der Inspekteur in Todesangst nach draußen: und tatsächlich, es ist Mir Barekat Chan, es muß Mir Barekat Chan sein, der auf die Hüte zuschreitet; wie ein safawidischer Sultan in einem langen, faltenreichen Gewand aus grüner Seide gekleidet, darauf ein blinkendes Kettengeflecht genäht, breiter Gürtel und

Weitere Kostenlose Bücher