Dein Name

Vorgesetzter sein, was zu der Geschichte nicht recht paßt. Wie auch immer, so drastisch wie über Agha oder Monsieur F-R-U hat Großvater sich noch über keinen anderen Menschen geäußert, nennt ihn ein Scheusal, beschreibt ihn als skrupellos, wirft ihm vor, ungeniert Bestechungsgelder verlangt zu haben, um den Vorwurf in der Selberlebensbeschreibung stehenden Fußes wieder gegen sich selbst zu wenden: »Wenn du in deinem Bruder eine Schwäche siehst«, zitiert Großvater den gepriesenen Rumi, »dann ist es deine eigene Schwäche, die du in ihm siehst. Die Welt ist ein Spiegel, in dem du dein eigenes Bild siehst. Überwinde jene Schwäche, denn wie sehr du ihr auch zürnst, du zürnst dir selbst.« Großvater selbst war nicht der einzige, der sich in Berichten an die Zentrale in Buschher über den korrupten Kollegen beklagte, doch muß er es besonders oft oder vehement getan haben, denn als Agha oder Monsieur F-R-U nach kurzer Suspendierung nach Bandar Lengeh zurückkehrte, brachte er Großvaters Versetzungsbescheid mit: Ich hoffe, Sie vertragen die Hitze von Bandar Abbas, sagte er spöttisch. – Ich bin stolz auf das Wasser und die Luft von jedem Ort, den Gott für mich vorgesehen hat, ballte Großvater die Faust. Sollte sein Verein im Sommer aufsteigen, laufen die Spiele endlich wieder im ersten Kanal, der auf mehreren chinesischen Websites zu sehen ist. In fünfzig, ach was, in fünf oder spätestens zehn Jahren ist alles normal, worüber der Enkel sich so wundert. Man wird lächeln oder den Kopf schütteln, wie heute über Menschen, die sich vor den ersten Autos fürchteten, dem elektrischen Licht. Zwei Generationen vor mir war eine Reise von Isfahan nach Teheran nichts Gewöhnliches, der Zustand der Wege miserabel, die Gefahr von Wegelagerern groß, an Hilfe im Notfall nicht einmal zu denken. Das brandneue Verkehrsmittel, über das alle Menschen staunten, war ein Vierspänner, dessen Pferde alle vierzig oder fünfzig Kilometer ausgetauscht wurden. Im bizarren Gegensatz zur Grandezza der Anlage und der teuren Ausstattung noch der Praktikantinnenbüros sind ausgerechnet die Stühle der Insassen, damit das einzig wichtige Arbeitsmöbel speziell für die Nummer zehn, unter ergonomischen Gesichtspunkten ein Fall für den Bundesrechnungshof, schließlich ist es die Allgemeinheit, die für Notfalldienste, Orthopäden, Krankengymnasten und Medikamente zahlt. Der junge Mann, der 1999 zur Ikone der iranischen Studentenbewegung wurde, als er mit dem Stirnband über den langen Haaren und dem Bart eines Che Guevara das blutgetränkte Hemd eines Kommilitonen in die Höhe hielt, berichtet mit ruhiger Stimme von Folter, von Scheinhinrichtungen, von der Erniedrigung der Eltern und wie er vom Tod seines Kommilitonen Akbar Mohammadi erfuhr. 1999 geriet er beinah ungewollt in den Protestzug, die Polizei schoß auf die Demonstranten, neben ihm wurde jemand getroffen, dem er das T- Shirt auszog, um die Blutung zu stoppen. Nachdem er den Verwundeten in eine Klinik gebracht hatte, hielt er das blutige Hemd hoch, um die Kommilitonen davor zu warnen, zur Demonstration zu gehen. Daß er zur Ikone geworden war, erfuhr er Wochen später im Gefängnis. Der Richter reichte ihm das Titelblatt des englischen Nachrichtenmagazins mit dem Hinweis, daß es sein Todesurteil sei. Als der junge Mann unter den Schlägen »Gott, Gott!« schrie, verlangte der Folterer, er solle seinen Namen rufen, Mahmud, Mahmud!, um auch diesen vor seiner Zeit zu nennen: Ich bin dein Gott, sagte Mahmud.
    Die Arbeit als Inspekteur in Bandar Abbas verlangte vor allem anfangs viel Mühe und Geduld, weil Großvater Ordnung in das Chaos seines Vorgängers Asem od-Douleh bringen mußte, der seinen Ehrgeiz darauf verwandt hatte, schnell wieder nach Teheran berufen zu werden. Dafür verstand Großvater sich gut mit seinem Vorgesetzten, einem ebenso umgänglichen wie faulen Belgier namens Gerau oder so ähnlich (im persischen Schriftbild die Konsonanten G und R sowie am Ende U, O oder Ou), der den gesamten Sommer mit Frau und zwei Kindern in einer Hütte in den Bergen verbrachte. Jeden Nachmittag sandte Großvater einen Boten, der Bericht erstattete und Anordnungen entgegennahm. Auch in Bandar Abbas legte sich Großvater mit jemandem an, und zwar dem britischen Konsul, der nicht einsah, warum ausländische Matrosen plötzlich Zoll