Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Dein Name

Titel: Dein Name Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Navid Kermani
Vom Netzwerk:
Plastikdecken, die wie hinterm Kölner Bahnhof Vertrauen erwecken, Mickeymäuse an der Wand, Papierblumen in der Vase. Nachdem er die Pasta bestellt hat, die das Vademekum als typisch römisch anführt, schaltet die Wirtin den Fernseher an, damit er nicht allein ist. Auf die Frage nach dem Sender zuckt er mit den Schultern. Sie sucht eine Talkshow aus und dreht den Ton ab, da er doch kein Italienisch könne. Um sich noch besser zu unterhalten, bestellt er ein Glas Wein, worüber die Wirtin eine Karaffe auf den Tisch knallt als Signal, daß auch beim Essen gekleckert werden darf. Als sie das nächste Mal ins Hinterzimmer tritt, bringt sie Bruschette mit, die er nicht bestellt hat. Na gut, denkt er, wenn er schon dafür zahlt, und ist bereits nach der Vorspeise satt, außerdem ein bißchen beschickert von all der Unterhaltung, die Karaffe fast leergetrunken mit so einer Frechen, die alle fünf Minuten einen neuen, zwingend männlichen Gast auf dem rosa Sofa begrüßt, ein Potpourri der Höhepunkte offenbar, voller Einsatz, die Moderatorin setzt sich aufs Knie des Schönlings, läßt sich am Hals küssen, krabbelt an einer Hundeleine über den Boden, und alle kichern sich schlapp, die Moderatorin, die männlichen Talkgäste, die Zuschauer im Fernsehstudio, ein Kameramann, der eingeblendet wird, und ebenso die Nummer zehn der Deutschen Akademie Rom, der allerdings das Lachen vergeht, als die Wirtin die Pasta neben seine Allmacht stellt. So etwas hat er noch nie gesehen, der Teller so groß wie eine Familienpizza, die Nudeln ein alpiner Bergrücken, dazu eine neue Karaffe. Die Wirtin sagt etwas mit tutto . An dem mahnenden Tonfall erkennt er, daß er aber auch ja aufessen solle. Er zuckt wieder hilflos mit den Schultern, die häufigste Geste, seit er neugeboren in Italien ist, worauf sie ihm lachend bedeutet, die Allmacht zuzuklappen. Später beugt sie sich ins Hinterzimmer, um sicherzugehen, daß es schmeckt. Sì , nickt er eifrig. Als sie schon aus der Tür verschwunden ist, ruft er ihr molto nach, um vorsorglich für Verständnis zu bitten, daß er den Teller unmöglich aufessen könne. Die Wirtin tritt wieder hervor, strahlend diesmal, da molto in diesem Zusammenhang nicht »viel«, sondern »sehr« bedeutet, wie ihm einfällt. Wenn es »sehr!« gut schmeckt, kann die Wirtin beruhigt sein, daß er den Teller aufessen wird. Mit Mühe schafft er wenigstens die Hälfte. Er beugt sich in die Küche, um beschämt nach der Rechnung zu rufen. Zehn Euro steht auf dem Zettel, den die Wirtin ihn an den Tisch bringt. Sie streicht die zehn durch, schreibt sieben darunter, und füllt das Wasserglas randvoll mit Grappa: tutto ! Wir sehen uns wieder, lallt er auf persisch, dann kann ich auch molto von molto unterscheiden und sagen, welchen Sender ich gern sehe. Wer weiß, vielleicht empfängt der Satellit das Deutsche Sportfernsehen, dann wird er noch Stammgast in ihrem Hinterzimmer.
    Monsieur Gerau oder so ähnlich erteilte Großvater den Auftrag, dem Stammesführer Mir Barekat Chan in Bandar Djask die Zollbescheide und Mahnungen zu übergeben, die sich in der Zollbehörde von Bandar Abbas angesammelt hatten. Wie in den anderen kleinen Häfen am Persischen Golf beschränkte sich die Präsenz des iranischen Staates in Bandar Djask, das Großvater auf einem Kriegsschiff erreichte, auf das Zollbüro. Ansonsten lebten außer den Einheimischen nur drei Inder in dem Dorf, die für die Briten das Telegraphenamt verwalteten. Großvater war überrascht, an diesem abgelegenen Hafen eine so großzügige, saubere Villa mitsamt einem Park anzutreffen, der neben Gemüsebeeten und Obstbäumen auch über einen Tennisplatz verfügte. Hingegen das Zollbüro bestand aus einem Zimmer, hergerichtet in der Ruine einer Karawanserei. Großvater erfuhr, daß Mir Barekat Chan gar nicht in Bandar Djask, sondern vierzig Farsach entfernt in einem Dorf namens Kuschk lebte. Vierzig Farsach, das waren zweihundertfünfzig Kilometer, und Kamele das einzige Transportmittel. Sein Eifer war groß, wie Monsieur F-R-U in Bandar Lengeh und der britische Konsul in Bandar Abbas gemerkt hatten, aber nicht so groß, daß er die Strapazen und Gefahren eines zweiwöchigen Kamelritts durch die Wüste auf sich nehmen wollte, bloß um Mahnungen und Strafbescheide auszutragen. Selbst wenn er Kuschk erreichen würde

Weitere Kostenlose Bücher