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Interview über das »Paradies«, wie er die Deutsche Akademie in der Titelzeile nennt, reicht Ingo Schulze, der im vorigen Jahrgang die Nummer zehn war, den Rat einer Freundin weiter, sich in Rom zu langweilen. Der Direktor hat das Interview in der Freitagsbesprechung verteilt, um die Stipendiaten ob ihrer Berufung auch diese Woche Dankbarkeit und Demut zu lehren. In der dritten Lektion zum Selberlernen angekommen, wird Zehnnullacht Vollzug melden können, wenn er Zehnnullsieben morgen sehr erfreut in Köln begrüÃt: wie geht es?, danke, gut, haben Sie Durst? »Das Ideal wäre, in Echtzeit zu schreiben, also über den Augenblick, den ich gerade erlebe«, sagt Ingo Schulze im zugleich falschesten und wichtigsten Satz seiner Poetikvorlesung. Ja, es ist ein Ideal, und es hat den Romanschreiber offenbar geblendet, dem die Selbstzweifel wieder dramatisch zusetzen, sofern man von einem Drama sprechen darf, wenn es objektiv niemanden in der Welt sonst interessiert, nein, niemand interessieren würde, denn die Einsamkeit allein höbe das dramatische Moment nicht auf, sondern das Fehlen jedweder Bedeutung für irgendeinen Zweiten. Auch deshalb hielt er sich an seinem GroÃvater fest, statt auf Rom zu blicken: Er traute seiner Wahrnehmung nicht mehr, so verunsichert war oder ist er noch, und fährt daher mechanisch mit dem fort, bei dem er gerade war und das sich wenigstens soweit bewährt hat, daà es ihn halbwegs durch die Tage bringt, genau gesagt die Schulstunden der Ãlteren und manche Nächte. Ab und zu beschwichtigt ein Kompliment, das anders als der halbe kritische Satz vor einem Monat, die miÃratene Lesung im Sommer oder die Zurückweisung vor einem Jahr, fast so schnell aus dem BewuÃtsein verschwindet wie es im elektronischen Postfach aufleuchtet. »Sie ahnen gar nicht, wie sehr ich mich über Ihre Nachricht gefreut habe«, schrieb der Romanschreiber einem vierundachtzigjährigen Pfarrer zurück: »Man arbeitet immer so einsam vor sich hin â in Ihrer Berufung als Pfarrer wird das anders gewesen sein â und ist permanent der Frage ausgesetzt, ob man überhaupt einen Adressaten hat. Natürlich, es gibt Rezensenten, und wenn sie mich loben, freue ich mich auch, aber das ist doch in der Regel etwas innerhalb des Kulturbetriebs, dem ich virtuell angehöre, es ist nicht aus dem Leben selbst oder selten.« Solche Korrespondenzen sind morgen schon vergessen, hingegen die Wünsche, er solle doch zu den Mullahs zurück, oder das Klopapier mit Versen aus dem Koran, das er vor zwei Wochen in einem Briefumschlag ohne Absender in seinem Postfach an der Deutschen Akademie vorfand, hinterlassen einen Schleim, der sich sogar in die Träume ausbreitet. Einen Schlag mit dem kleinen Finger und der Wirkung einer Schleuder versetzte ausgerechnet der berühmte Schriftsteller, als er von dem letzten der Romane lange schwärmte, wie der Romanschreiber sie früher schrieb, und zum SchluÃ, praktisch schon in der Verabschiedung nach den Reaktionen fragte. Na ja, murmelte der Romanschreiber verlegen, die Rezensionen seien schon gut gewesen, beinah alle sogar, er könne sich nicht beklagen, auch wenn er bei der Kritikerprominenz oder den Literatursendungen des Fernsehens keine Chance habe. Der Verkauf? Ach, winkte der Romanschreiber ab, dreitausend, doch wie gesagt, was solle er sich beklagen, es liege nun schon so weit zurück, und er sei längst an etwas anderem, von dem aus das Vorherige wie eine bloÃe Ãbung aussehe, und immerhin habe ihm das Buch, letztlich, Rom eingebracht und sei er in die Akademie für Sprache und Dichtung gewählt worden. â Na, mit der Berufung in die Akademie hatte der Roman nicht viel zu tun, entfuhr es dem berühmten Schriftsteller. Schon klar, beeilte sich der Romanschreiber zu versichern, schon allein zeitlich klar, daà er nicht wegen des letzten Romans aufgenommen worden sei, doch gehöre der nun einmal zu dem Werk, das die Akademie mit der Wahl ausgezeichnet habe, und da sagte der berühmte Schriftsteller, die Bemerkung entwischte ihm, daà die Romane durchaus in Frage gestellt worden seien, aber sich die Meinung durchgesetzt habe, daà allein schon das wissenschaftliche Werk eine Aufnahme zweifellos rechtfertige. Mehr war es nicht, davor so viel, so langes Lob des Bewunderten, die Infragestellung eines anonymen Jurors, der genausogut ein Idiot sein kann, und doch spürt der jüngere
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