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Dein Name

Titel: Dein Name Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Navid Kermani
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und hat wirklich und wieder einmal Todesangst – einen leichten Hang zur Panik muß man ihm wohl attestieren –, sucht deshalb Monsieur Gerau oder so ähnlich in den Bergen bei Bandar Abbas auf, der allem Flehen zum Trotz nicht gewillt ist, der Versetzung nach Teheran zuzustimmen. Am Ende macht Großvater seine Drohung wahr, ohne Erlaubnis abzureisen. In Buschher muß er sich, weil er seine Dienststelle im Streit und damit ohne das ausstehende Gehalt verließ, Geld leihen, nein, sich Geld von einem Freund in Kerman schicken lassen, der Schulden bei ihm hat. Die Schilderung der Geldbeschaffung aus Kerman zieht sich über zwei der engbedruckten Seiten, die herauszubringen wirklich keinem Verleger der Welt abzuverlangen war. Unterbrochen von einem Aufenthalt in Isfahan, wo Urgroßvater nicht mehr die Kraft hatte, ihn für die vorzeitige Heimkehr ein viertes Mal zu schelten, fährt Großvater weiter nach Teheran. In der Zollbehörde trifft er zum Glück seinen früheren Chef aus Buschher an, Monsieur D-L-K-R-D , den er bereits im Dankwort ausführlich bedacht hat. Dank dessen Hilfe und eines Attests, das die Fortsetzung des Aufenthalts am Persischen Golf für lebensbedrohlich erklärt, wird Großvater wieder in den Dienst aufgenommen, bekommt das Restgehalt ausgezahlt und erhält eine Stelle in der Zentralverwaltung. Mit Triumphgefühlen und gefüllter Börse kehrt er noch einmal nach Isfahan zurück, um zu verkünden, daß er heiraten möchte. Die älteste Tochter des Hadsch Mirza Alichan Nurbachsch wird ihm vermittelt, die gleichzeitig seine Großcousine ist, und die Trauung vollzogen. Das war’s, zwei Zeilen für die Eheschließung, anderthalb, um genau zu sein. Nicht einmal Großmutters Namen erwähnt Großvater, wo er sonst jeden Pförtner namentlich anführt, nicht einmal erwähnt er, ob sie ihn begleitete, als er sich kurz darauf wieder in die Kutsche nach Teheran setzte, um die neue Stelle anzutreten. Seinen kleinen Bruder hatte Großvater dabei, »den lieben Hassan«, der in Teheran die Schule besuchen sollte, das erwähnt er, den Namen der Gasse, in der er wohnte oder sie wohnten, erwähnt er, selbst die Adresse der Zollbehörde am Anfang der Lalehzar-Straße, unweit des Kanonenhausplatzes, an dem Großvater einst aus der Kutsche gestiegen war, selbst sie erwähnt er, aber nicht seine eigene Frau. Die ganze Zeit war mir Großvater so nahe, ich sah ihn genau vor mir, dieser sehr kleine, sehr korrekte und etwas panische junge Mann mit auffällig rundem Gesicht und Charlie-Chaplin-Schnurrbart, der dann doch die großen Reisen unternimmt, nachts im Schneesturm über den Paß und durch die Wüste auf Kamelen mit bewaffneten Belutschen, und plötzlich, nur wegen diesen anderthalb Zeilen, auf denen er Großmutter abhandelt, merke ich, wie fern er mir ist, obwohl uns nur eine Generation trennt, wie weit unsere eigene Reise war. Ich wußte schon, daß sie eine »traditionelle Ehe« geführt hatten, wie es selbst der Cousin in Isfahan mit abwertendem Zungenschlag sagte, der unter allen Enkeln die Tradition am höchsten hält, nicht nur, weil er als einziger in Iran geblieben. Bis zum Schluß haben sie sich gesiezt und mit »Mein Herr« und »Gnädige Frau« angeredet, die Lebensbereiche, Beschäftigungen und Interessen weitgehend getrennt, auch der Freundeskreis, der sich zu einem großen Teil mit der jeweiligen Verwandtschaft deckte. Aber nun dies, ein Satz, der wie ein Autokauf klingt – ach was, beim Auto nennt man noch die Marke –, hätte ich nicht für möglich gehalten. Obwohl, die Marke wird ja erwähnt, nämlich ihr Vater. Ich selbst beobachtete als Kind und erhielt es von Mutter bestätigt, daß sie vollkommen unterschiedlich, ja gegensätzlich waren, sie die großgewachsene, schmale, auffallend schöne Frau mit hellen Augen und beinah blonden Haaren, eine selbstbewußte und lebensfrohe Praktikerin, die sich für alle aufopferte, auch mal ein Auge zudrückte, für alle Nöte und Versäumnisse Verständnis aufbrachte, weshalb sich die Kinder und Enkel in Bedrängnissen jedweder Art zuallererst an sie wandten, er der würdevolle, wenngleich so kleingewachsene und schon ohne Übergewicht rundliche Stammvater, der uns ein Vorbild an Gerechtigkeit, Moral und Gottesfurcht sein wollte und war. Und doch wirkten sie so

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