Dein Name
Begeisterung ansteckt, kehrt etwas von jenem Staunen zurück in die Sinne, jenem Sprachlosmachen, wie es das Wunder vom Koran behauptet und sogar Goethes Beschreibungskunst in Rom zur Kaskade kümmerlicher Attribute wie »unbeschreiblich«, »unfaÃbar« verdünnt. Das Kind ist blind für die Umstände, es sieht nicht die Touristen ringsum mit ihren Plastikflaschen, Rucksäcken, Photoapparaten, Reiseführern und kurzen Hosen zu jeder Zeit an jedem Ort in vierundsiebzig Sprachen, es sieht nur das Wesentliche, das Glimmen von Ewigkeit, und ein biÃchen vom Glanz, der sich in seinen Augen spiegelt, springt zurück auf die eigenen. Ende des Jahresberichts. Da er es gerade zum ersten Mal verlassen hat, eine Dreiviertelstunde nach Abflug unter ihm die Alpen, will er anfangen mit Rom.
Der vielleicht nur blinde Kollege heuchelte keine Bewunderung, da sie im wesentlichen über den einen Punkt sprachen, der ihn interessierte, die Identität zwischen Autor und Ich-Erzähler, die Ingo Schulze so nahelegt, daà man sie ihm erst recht nicht abnimmt. Darin wäre auch er Vorbild, kam dem Kollegen in den Sinn: Wo andere die Linien zum eigenen Leben verwischen, folgt Ingo Schulze wohl unbewuÃt Jean Paul, der kaum etwas preisgibt, so detailliert er über sich schreibt. Man müsse immer erfinden, sagte Ingo Schulze, sonst habe man die Stimmigkeit im Kopf, nicht auf dem Papier, abgesehen von moralischen Implikationen. Mag sein, mag prinzipiell stimmen, allein die Menschen dürfen im Roman, den ich schreibe, keinen falschen Namen haben, keinen Namen, das geht, aber keinen falschen. Wer einen falschen Namen hat, kann nicht In Frieden sterben. Vom Salon abgesehen, war das Wochenende in Köln ohne Aber ein Fiasko, wie sich der Kollege auf dem Rückflug eingesteht, Montag, den 10. März, 11:20 Uhr, um, wenn schon, auch die Uhrzeit festgehalten zu haben. Im Viertel kam er sich vor wie ein Besucher, der zu früh auf einer Party klingelt, was machst du denn schon hier?, fehl am Platz auch zu Hause, die Frau so freundlich wie eine entfernte Bekannte, in der Kneipe kein Spruch, zu allem Ãberfluà auch noch eine Podiumsdiskussion, gaffende Meute und im Käfig die Affen, die sich mit Bananen bewerfen, wobei seine Abscheu vielleicht nur daher rührt, daà ihm keine so guten Treffer gelingen; Glück allein die Frühgeborene, wie bei Sterbenden wurde jede gemeinsame Minute wichtig, jede Zärtlichkeit, jeder Augenblick, in dem die Frühgeborene lachte, ausnahmslos alles andere miÃglückt, die simpelsten Erledigungen. In Rom vergessen hatte er alle Schlüssel, nicht nur die zur Wohnung, sondern auch fürs Fahrrad, das er mit nach Rom nehmen wollte, und zum Keller, wo Jean Paul und Rolf Dieter Brinkmann liegen, vergessen auÃerdem die Goldkrone, die er sich wieder einsetzen lassen wollte. Daà er beim Einwohnermeldeamt vorbeigehen wollte, um seinen neuen deutschen Paà abzuholen, ist ihm erst eingefallen, als er schon in der S -Bahn zum Flughafen saÃ, ebenso das Mittel gegen Blasenschwäche, das die Schwägerin empfohlen hatte, deren Fachgebiet die Psychologie ist, der Termin beim Hautarzt, der Tee, alles vergessen und versäumt, so gedankenlos taperte er durch Köln. Jetzt hat er statt des Fahrrads den Bürostuhl mitgenommen, damit er in Rom kein zweites Mal zum schwedischen Kaufhaus fahren muÃ, wo er beim ersten Einkauf mehrere Runden drehte, um zuerst das Klo, anschlieÃend den Einkaufswagen zu suchen, den er stehengelassen hatte, um durch die Kundenmassen zu schlüpfen wie durch die Touristen im Kolosseum, immer wieder an der akustischen Morgenfrische beim Sanitär vorbei, dem Easy Jazz im Wohnzimmerbereich und den Elektrobeats in der Büroabteilung, kein Loop länger als dreiÃig, vierzig Sekunden und in der Wiederholung ärger als Señor Winkler und Frau Lolli. Den zweiten Stuhl braucht er in Rom, damit die Frau einen hätte. Bitte schalten Sie jetzt alle elektronischen Geräte aus.
Am 12. März 2008 zurück aus der Stadt, hat der Enkel um 15:06 Uhr noch eine halbe Stunde, bis er die Ãltere von der Schule abholen muÃ, und damit genug für Umzug und Heirat, ja Heirat, so kurz handelt GroÃvater die Liebe ab. Im Frühjahr 1924 â endlich eine Jahreszahl â geht es ihm miserabel, der fünfte Sommer am Persischen Golf steht bevor â ich dachte, der elfte â, den überlebe ich nicht, denkt er
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