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Künstlerkolonie vorstellt, Einkaufs- und Restaurantempfehlungen, der saftigste Schinken Roms, das beste Olivenöl Latiums, der ursprünglichste â¦. überhaupt die eigene Stadt zu verlassen, und dann nicht einmal nach Teheran, nach Indien oder zu den Pilgerstädten im Irak oder nach Mekka zu reisen, wohin wenigstens die Wege bekannt sind, sondern noch weiter fort ins »Land der Franken«, farangestan ,wie die Iraner Europa bis heute nennen, das hat auÃer Nasser od-din Schah, einigen Intellektuellen und Abenteurern, Oppositionellen auf der Flucht oder Angehörigen der religiösen Minderheiten seit Jahrhunderten kaum jemand gewagt; schon gar nicht waren Jugendliche darunter. Lediglich Fath Ali Schah schickte 1811 zwei Studenten nach England, damit sie, wie er vor ihrer feierlichen Abreise verkündete, »etwas lernen, was für mich, für sie selbst und für ihr Land von Nutzen ist«. Einer der beiden Studenten starb an Tuberkulose, so daà der zweite keine Nachahmer fand. Reza Rastegar also, der jüngere Cousin des Zollbeamten in Teheran, gehört zur ersten Gruppe von Studenten, die der iranische Staat mehr als hundert Jahre nach der ersten Expedition wieder nach Europa schicken will. Nicht nur die Eltern, überhaupt alle Verwandten und Freunde in Isfahan sind in heller Aufregung. Als das Mitglied der Familie, das bislang am weitesten gereist ist, kommt es Rezas Teheraner Cousin zu, eigens nach Isfahan zu reisen, um die zahlreichen Bedenken aus dem Weg zu räumen. So spricht sich etwa Rezas eigener GroÃvater strikt gegen die Reise aus und wirft dem Teheraner Cousin vor, die Gefahren herunterzuspielen: SchlieÃlich ist 1811 einer von zweien an Tuberkulose verstorben! SchlieÃlich setzt sich Reza mit dem Beistand seines Teheraner Cousins durch und darf mit ins Land der Franken. Um die Angehörigen zu beruhigen, verpflichtet der Stipendienvertrag die Studenten, wöchentlich Postkarten und Briefe nach Hause zu schicken. Zusätzlich sendet der Leiter der Delegation regelmäÃig Berichte ans Kriegsministerium. Dementsprechend gespannt warten alle Angehörigen auf die erste Nachricht. Und was geschieht? Reza Rastegar meldet sich nicht, kein Brief, keine Postkarte, kein Telegramm, nichts. Jeden Tag schaut der Teheraner Cousin im Kriegsministerium vorbei, ob dort vielleicht ein Schreiben eingetroffen ist, doch nicht einmal der Delegationsleiter erwähnt in seinen Berichten Reza. Der Teheraner Cousin fragt sich nacheinander zu den Eltern der anderen Studenten durch, vielleicht daà einer ihrer Söhne in einem Brief etwas über Reza Rastegar mitgeteilt habe, nur um ein ums andere Mal enttäuscht zu werden. Jeden Abend rufen Rezas Eltern aus Isfahan an, die sich längst das Schlimmste ausmalen, und jeden Abend muà der ältere Cousin in Teheran gestehen, noch immer nichts von ihrem Sohn gehört zu haben. Bei manchen Anrufen hört er im Hintergrund Rezas GroÃvater schimpfen, daà er es doch von Anfang an gesagt habe. Sosehr quälen ihn die Angst um seinen jungen Cousin, die Scham vor dessen Eltern und am schlimmsten die Selbstvorwürfe, daà er sich kaum noch auf die Arbeit in der Zollbehörde konzentrieren kann und zu Hause von nichts anderem mehr redet. Endlich trifft der Brief eines anderen Stipendiaten ein, eines Mohammad Riahi, den der Teheraner Cousin angeschrieben hatte, um endlich etwas über Reza Rastegar zu erfahren, ob dieser gesund sei, noch lebe, warum er sich nicht melde. Der Teheraner Cousin reiÃt den Umschlag auf, fängt an zu lesen und kommt nicht über die ersten Worte hinaus: »Mit dem Ausdruck gröÃten Bedauerns â¦Â« Mit einem Schrei des Entsetzens sackt er zusammen und bleibt mit dem Gesicht auf dem Boden liegen. Die Frau des Teheraner Cousins fängt ebenfalls zu weinen an, genauso einige andere, die zufällig im Zimmer stehen. Man hebt ihn hoch, umarmt ihn, bekundet sein Beileid, das Gejammer dringt nach drauÃen, die Nachbarn erkundigen sich, treten in die kleine Wohnung, die nun voller mitfühlender Menschen ist. Alle bemühen sie sich, den Teheraner Cousin zu trösten, doch der kauert auf einem Stuhl, den man herangeschoben hat, und kennt kein Halten. Vor Schmerz und weil er sich selbst verflucht und nicht weiÃ, wie er es seiner Tante beibringen soll, schlägt er sich ein ums andere Mal mit der Hand gegen die Brust, rauft sich die Haare, reiÃt sich das Hemd auf,
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