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Dein Name

Titel: Dein Name Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Navid Kermani
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harmonisch, daß niemand überrascht war, als Großmutter nach Großvaters Tod nicht mehr recht leben wollte und es auch nur ein paar Monate lang tat. Es ist ein anderes Modell, nicht bloß als »arrangierte«, sondern als »Zwangsehe« bezeichnen es die Europäer, die es nur wenige Jahrzehnte früher verworfen haben (siehe das bürgerliche Trauerspiel bis Maria Magdalena , 1843, oder noch zu Fräulein Julie , 1889, also bis fast in Großvaters Gegenwart hinein, bei Lorca noch weiter). Angesichts des Zustands meiner eigenen und vieler anderer Ehen in meinem Umkreis, die den Erwartungen nicht standhalten, wage ich derzeit kein Urteil. Bei der Gelegenheit bete ich für die Seele von Karl Otto Hondrich, der die Liebesehe für eine Erfindung hielt, und nehme mir vor, seiner Witwe zu schreiben.
    Von den fünf Jahren, die Großvater in Teheran verbrachte, habe er ein einziges Ereignis mitzuteilen, das nicht einmal dienstlichen, vielmehr rein privaten Charakter habe. Fünf Jahre, das heißt von 1924 bis 1929, das heißt das Ende der hundertneunundzwanzigjährigen Kadscharen-Dynastie, das heißt die Inthronisierung Reza Pahlewis, das heißt die Hoffnung auf Fortschritt, die der neue Schah weckt, und die Enttäuschung, als er die Freiheit Jahr für Jahr weiter beschränkt, bis er von Atatürk nur noch das tyrannische Abziehbild ist, fünf Jahre, das heißt Redeschlachten im Parlament, in dem Abgeordnete wie der junge Doktor Mossadegh die Konstitutionelle Revolution von 1906 zu retten versuchen, die Straßenproteste von 1926 und 1927, Generalstreik in fast allen iranischen Städten, 1927 die Arretierung des Theologen und demokratischen Vorkämpfers Hassan Modarres, den Großvater doch verehrt haben muß, ein Jahr später Tod des großen kommunistischen Dichters Farroch in einem Gefängnishospital, öffentliche Hinrichtungen, in fünf Jahren vier Premierminister mit vier neuen Kabinetten, radikale Verwestlichung, die zwischen 1924 bis 1929 konkret zum Beispiel bedeutet, daß sich alle Iraner einen Nachnamen zulegen müssen oder die Männer wie gesagt nicht mehr das traditionelle lange Gewand tragen dürfen, per Gesetz wird es ihnen 1928 verboten, so wie acht Jahre später den Frauen das Kopftuch, aber nicht nur westliche Straßenanzüge werden zur Pflicht, auch die sogenannte »Pahlewi-Kappe«, mit der Reza Schah die Mullahs vor den Kopf stößt, da es zu den Gebetsregeln gehört, mehrfach mit der Stirn den Boden zu berühren, was mit der Kappe nicht möglich ist, weil sie nach vorn fällt beim Verbeugen, allein, abziehen darf man die Kappe auch nicht, nicht in der Öffentlichkeit jedenfalls, beim Freitagsgebet die Männer, die bei jeder Verbeugung mit einer Hand die Kappe auf dem Kopf festhalten, auch Großvater beim Freitagsgebet, auf der Straße, in der Behörde mit Kappe und ein Schah, der allen gezeigt hat, was er von Tradition, was er vom Islam hält, marschiert 1928 mit Reitstiefeln durch die Feyziye von Ghom, in der Fatima begraben liegt, die Schwester Imam Rezas, schlägt einem Geistlichen, der darauf hinweist, daß man einen Gebetsraum nicht mit Schuhen betrete, mit der Peitsche ins Gesicht und treibt den Frevel sieben Jahre später noch weiter, als er seine Truppen auf den Schrein des Imam Reza in Maschhad schießen läßt, des größten Heiligtum Irans, wo die Gläubigen der Predigt eines aufrührerischen Geistlichen zuhören, hundert Menschen sterben. Aber das war wie gesagt schon Mitte der Dreißiger. Zurück zu den Jahren 1924 bis 1929 und damit zum Bau von Straßen und der gewaltigen transiranischen Eisenbahn mit Hilfe deutscher Ingenieure, niemand mehr muß sich tage- und nächtelang auf der Kutsche durchschütteln lassen, um Teheran, Isfahan oder eine der anderen großen Städte zu erreichen, ein ganz neues Gefühl auch: selbst abgelegene Pisten ohne Angst vor Wegelagerern zu befahren, die so dringliche, so überfällige Industrialisierung mit aller Macht betrieben, die moderne persische Literatur entsteht, die Arbeiter- und Frauenbewegung, die Faszination des Kommunismus und das Erwachen nationalen Bewußtseins, Kampf für die Unabhängigkeit, Vertreibung aller fremden Truppen, der russischen genauso wie der britischen, der Türken auch?, nein, die Türken müssen Iran schon vor 1924 verlassen haben, Französisch zu sprechen

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