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verflucht sich vor Gott und der Tante, neben ihm seine Frau, die nach der Bangnis der letzten Wochen so aufgelöst ist, als sei ihr eigenes Kind gestorben, kurz: »eine Szene«, so wird es der Teheraner Cousin fünfzig Jahre später formulieren, »von der ein Muslim nichts sehen und ein Ungläubiger nichts hören sollte«. Inzwischen sind auch die ersten Verwandten eingetroffen, darunter Hossein Sohrab, der muslimische Bruder von Hedayatollah und Enayatollah. Hossein hebt den Brief vom Boden auf und liest, ohne daà ihn jemand beachtet. â Schafizadeh, Schafizadeh, ruft er plötzlich aufgeregt und hält dem Teheraner Cousin von Reza Rastegar den Brief hin, lies doch mal zu Ende, du Knallkopf! Mit dem Ausdruck gröÃten Bedauerns entschuldigt sich Mohammad Riahi lediglich dafür, erst jetzt auf den Brief des Teheraner Cousins geantwortet zu haben. Reza Rastegar sei bei bester Gesundheit. »Hossein Sohrabs Ruf, daà ich ein Knallkopf ( ahmagh ) sei«, wird der Teheraner Cousin fünfzig Jahre später in einem Anflug von Poesie fortfahren, »war wie eine groÃe Welle Wasser, die das Feuer, das durch meine Eile und Aufregung entfacht worden war, von einer auf die andere Sekunde löschte.«
Seinen lieben Lesern habe GroÃvater die Anekdote nicht nur erzählt, um sie auch einmal zu erheitern; er habe auf zwei Schwächen hinweisen wollen, eine kleine Schwäche des verstorbenen Doktor Riahi und eine groÃe Schwäche seiner selbst. Bei aller guten Absicht, Zuneigung und immerwährender Güte habe Doktor Riahi, dem doch bewuÃt gewesen sein müsse, mit welcher Furcht sein Adressat auf Nachricht wartete, einen solchen Brief niemals mit dem Ausdruck groÃen Bedauerns beginnen dürfen. Doktor Riahi habe dies später selbst eingeräumt, wann immer jemand die Anekdote aufs neue erzählte. Die zweite, gröÃere Schwäche müsse GroÃvater jedoch sich selbst zuschreiben: »Mit dem Ausdruck gröÃten Bedauerns gestehe ich, daà trotz aller Erfahrungen, die ich im Leben gemacht habe, und so sehr ich mich darum bemühte und mich immer noch bemühe, es mir bis zum heutigen Tag nicht gelungen ist, meine Gefühle zu beherrschen und mich vom Verstand leiten zu lassen. Immer wieder und bis zum heutigen Tag haben mich meine Ungeduld und meine grundlose Aufregung an den Abgrund der völligen Vernichtung geführt. Ich suche Zuflucht an der göttlichen Türschwelle und flehe um Beistand, damit ich wenigstens die paar Morgengrauen, die zu erblicken mir noch vergönnt sein wird, von den Unglücken meiner seelischen Affekte verschont bleibe, so Gott der Erhabene will.« Da er den verstorbenen Doktor Hossein Sohrab nun einmal erwähnt habe, erscheine es ihm notwendig, an der göttlichen Türschwelle (ich meine, wenn er schon mal dort ist) auch für diesen um Vergebung zu bitten und ihn kurz vorzustellen. Unter den Beispielen der Herzenswärme und Mildtätigkeit seines Cousins führt GroÃvater den kranken arabischen Kameltreiber an, der im Winter bei eisiger Kälte an GroÃvaters Haustür in Isfahan klopfte. GroÃvater brachte den Kameltreiber zu Doktor Hossein Sohrab, der ihn nicht nur sofort behandelte und mit Medikamenten versorgte; nein, Doktor Hossein Sohrab fing einen ernsthaften Streit mit seiner Frau an, einer Französin namens Renée, da sie die Beeren gegessen hatte, die er der Vitamine wegen dem Kameltreiber vorsetzen wollte. â Hättest du dir besser die Syphilis geholt, statt die Beeren zu essen, warf er ihr an den Kopf, was nicht eben milde klingt, aber es rutschte ihm so heraus und steht wirklich wörtlich so in GroÃvaters Selberlebensbeschreibung ( kâsch kuft chordi ). Obwohl Doktor Hossein Sohrab sich sofort entschuldigte wie GroÃvater bei seinen Lesern, blieb Renée beleidigt. SchlieÃlich hatte sie nicht ahnen können, daà ein kranker arabischer Kameltreiber in der Tür stehen würde, der für seine Genesung ausgerechnet auf Beeren angewiesen war. Auch wenn der Kameltreiber schon mit dem Persischen Probleme hatte, soviel verstand er doch von dem französisch geführten Streit, daà es um ihn ging, um seine Ernährung, um seine Genesung. Vor Rührung fing er an zu weinen. â Ich habe immer nur mit Leuten zu tun, die mir etwas aus der Tasche ziehen, die mir die Kette klauen oder das Messer oder die fünf Rial, die ich mir aufgespart habe,
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