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Dein Name

Titel: Dein Name Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Navid Kermani
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befindet, also nahe dem Schah-Platz und in Fußnähe zum Haus, in dem Großvater und Großmutter vermutlich bei den Urgroßeltern lebten. Er selbst erwähnt solche Details ja selten, schon gar nicht die Söhne, die ihm Großmutter inzwischen geboren hatte, oder 1933 die erste von drei Töchtern, die meine Mutter wurde. Statt dessen faßt er einen Bericht der Lokalzeitung zur Eröffnung der Bank zusammen, der einige satirische Bemerkungen über die vormaligen iranischen Geldscheine und Münzen enthielt. Um die Aufmerksamkeit des Direktors zu erheischen, eines Deutschen mit dem ungefähren Namen Steyr oder Stier (’-sch-t-y-r), übersetzte Großvater den Artikel unaufgefordert ins Französische. Als Lohn für seine Beflissenheit hoffte er, im Rechnungswesen arbeiten zu dürfen, statt wieder nur Papiere zu übersetzen und Briefe aufzusetzen wie bei der Zollbehörde in Teheran. Doch Herr Stier – ich nenne ihn mal so, dann habe ich gleich eine Vorstellung – fand den Artikel so komisch, daß er Großvater sogleich die Leitung der Abteilung Korrespondenz und Übersetzung anvertraute.
    Da keiner der dreißig Angestellten je in einer Bank gearbeitet hatte, mußten sie alle neben der regulären Arbeit eine Schulung durchlaufen, die Herr Stier für sie organisierte, mit Stundenplan, Aufgabenheften und Prüfungen. Oft blieben sie bis nachts in ihren Büros, um frühmorgens wieder anzufangen. Es war wie eine gemeinsame Mission, schreibt Großvater, die die Angestellten der Nationalbank in Isfahan vom Dienstboten bis zum Direktor zu einer Gemeinschaft geschweißt hatte, ein Aufbruch in ihrem eigenen Leben, für die Bürger ihrer Stadt, für das Land, in dem endlich der Fortschritt Einzug zu halten schien. Nur einem der Kollegen, Herrn Seyyed Sadegh Schahab os-Sadat, wurde es einmal zuviel. Er nahm Großvater mit zu Herrn Stier, um die Dienstzeiten anzusprechen, die eigentlich keine waren, weil sie so gut wie immer Dienst hatten. Als sie das Büro des Direktors betraten, betonte Großvater in seiner Beflissenheit, die ihm fünfzig Jahre später selbst albern anmute, daß er ausschließlich als Übersetzer mitgekommen sei und keinerlei Verantwortung für den Inhalt der Übersetzungen übernehme werde. Seyyed Sadegh Schahab os-Sadat hatte nichts Rebellisches an sich, sondern war ein sanfter, gutmütiger Mensch, der lieber einen Scherz machte, als sich mit jemandem anzulegen. – Lieber und sehr verehrter Herr Direktor Stier, begann er mit einem verbindlichen Lächeln, heute morgen ist mein Sohn wach geworden, bevor ich das Haus verließ. Und wissen Sie was, lieber und sehr verehrter Herr Direktor Stier? Als mein Sohn die Augen öffnete, vergrub er sich erschrocken in den Armen meiner Frau und fragte, wer dieser Mann sei, der neben ihr liegt. Herr Stier verstand nicht, was die absurde Frage eines Kindes mit ihm zu tun hatte, dem Direktor der Iranischen Nationalbank in Isfahan. – Ist dieser Mann verrückt? fragte er Großvater: Was will er mir damit sagen? Wie soll es möglich sein, daß ein Kind seinen Vater nicht erkennt? – Ein Vater, erklärte Seyyed Sadegh Schahab os-Sadat dem lieben und sehr verehrten Herrn Direktor Stier, ein Vater, der das Haus verläßt, wenn das Kind noch schläft, und nach Hause zurückkehrt, wenn nicht nur das Kind längst wieder im Bett ist, sondern die gesamte Familie, braucht sich nicht zu wundern, wenn ihn nicht einmal seine Frau erkennt, geschweige denn sein Sohn. Endlich sah Herr Stier, worauf Seyyed Sadegh Schahab os-Sadat hinauswollte, und fing an zu lachen. Herr Stier klopfte seinem Angestellten auch bedauernd auf die Schulter und nahm es ihm keineswegs übel, sein Büro betreten zu haben, im Gegenteil lobte er Seyyed Sadegh Schahab os-Sadats Humor und Schlagfertigkeit. An den Dienstzeiten änderte er nichts. Was Großmutter wohl vom neuen Beruf ihres Mannes hielt, den ganzen Tag allein mit den beiden kleinen Söhnen im Haus ihrer Schwiegereltern, ob meine Onkel ihren Vater wohl ebenfalls nicht erkannten?
    Ãœber das iranische Bankwesen forschend, erfahre ich in der Bibliothek der römischen Orientalistik nicht nur, daß die Nationalbank nach ihrer Gründung innerhalb von drei Jahren die Hälfte allen iranischen Geldes verwaltete und so gut wie alle großen Bau- und Entwicklungsprojekte Reza Schahs finanzierte. In einer Fußnote

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