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dennoch sei es nicht statthaft, die Hadsch wie einen Kurztrip anzugehen, gar wie eine Urlaubsreise. Auf dem Weg zum Haus Gottes dürfe der Fromme keinen Gedanken an Bequemlichkeit übrig haben. Wer die Pilgerfahrt nicht reinen, gottesfürchtigen Herzens antritt, dem bringe sie ohnehin keinen Lohn ein. So sei es auch abwegig, daà jemand, der nicht einmal das viel leichter einzuhaltende Ritualgebet konsequent verrichtet, nun plötzlich nach Mekka pilgert, weil die Reise heutzutage leicht zu bewerkstelligen ist. Die Hadsch setze die Bereitschaft des Pilgers voraus, sein Leben zu ändern. Wer als derselbe Mensch zurückkehrt, sei nicht wirklich in Mekka gewesen, nicht mit dem Herzen. »Selbstverständlich sind das nur meine persönlichen Ansichten, und ich bin weit davon entfernt, sie für jemand anders als bindend zu erachten.«
Ausgerechnet in Rom sieht er zum ersten Mal seit annähernd dreiÃig Jahren regelmäÃig fern, weil er alle Sendungen auf die Allmacht laden kann, die im deutschen Fernsehen laufen, auch die morgens um acht oder auf Kanälen, von denen er nie zuvor gehört, 4,90 Euro im Monat bei einem Einjahresvertrag, den er sofort verlängern würde, wenn sie in Köln so groÃe Wände hätten wie in der Deutschen Akademie und eine so hohe Decke, auf der ein Projektor, den er sich ebenfalls zulegen würde, die Illusion erzeugt, in einem Kino zu sitzen. Der berühmte Schriftsteller hat sich in seiner Scheune auch ein Kino eingerichtet, wo er die Windräder vergiÃt, die ihn derart zur WeiÃglut treiben, daà er eine Bürgerinitiative gegründet hat, wie der jüngere Kollege erstaunt erfuhr, der ihn dort einmal besuchte, weil er, also nicht der jüngere Kollege, sondern der berühmte Schriftsteller eigens aufs Land gezogen ist, um in die Weite zu blicken, und jetzt versperren Windmasten alle Blicke. Die Windräder sollen auch ein Geräusch machen, ein Rauschen, aber dafür kann er sich eine Scheune leisten, die er zum Kino hergerichtet. Der jüngere Kollege lebt in Rom auch wie auf dem Land, der Park, den er gar nicht verlassen möchte, die Tage nach Stundenplan in der Wäschekammer, Ausflüge fast nur in die Bibliothek der römischen Orientalistik oder mit der Familie, dienstags die Begleitung, freitags die Besprechung, bei Sonnenuntergang eine Wasserpfeife auf der Promenade vor dem Atelier, die Abende vor dem Computer und heute ein Western in der Glotze, die so groà ist wie bei dem berühmten Schriftsteller. Der jüngere Kollege mag Western, seit sie im Fernsehen die einzigen Spielfilme waren, in denen der Held stirbt. Am Donnerstag, dem 17. April 2008, sitzt er um 2:02 Uhr ausnahmsweise im Hangar, neben ihm ausgeschüttet wie zu jeder Tag- und Nachtzeit der Korb mit dem Holzspielzeug. Obwohl er morgen so früh aufstehen muà wie immer, tritt er nach drauÃen, alles still, kein Licht leuchtet, nur das seines eigenen Schreibtischs und der Lampen im Park. Heute wird die Frühgeborene ein Jahr alt. Sie ist ein Engel geblieben. Vor Freude trug der Vater nach dem Western das Babyphon zur Nummer neun und fuhr mit der Frau und dem Rockabilly Radio bestimmt eine Stunde mit offenem Fenster wie die Türken in Köln durch die Gassen von Rom, ohne auf eine Parklücke zu stoÃen; Touristen, die im Regen gedankenverloren Platz machten, Italiener mit Stadtplan in der Hand, eine Vespa-Fahrerin, die ausgerechnet ihn nach dem Weg fragte und seine Musik lobte. Als sie schon aufgeben wollten â war doch eine schöne Stadtrundfahrt, meinte die Frau ehrlich â, tat sich doch eine Lücke für den BMW auf, der seine erste römische Beule nicht versteckt, und liefen sie durch die gleichen Gassen, durch sie kurz zuvor gefahren waren, nur daà sie kein Dach mehr hatten und keinen Rockabilly . Er gewöhnt sich wahrscheinlich nur deshalb nicht an den Gedanken, wieder eine glückliche Ehe zu führen, um die Ãberraschung auszukosten. Daà die Eheleute kein Lokal entdeckten, in das sie einkehren wollten, erklärten sie sich mit der Schönheit Roms, gegen die keine Theke besteht. Wer will schon in eine Bar, wenn er auf die Piazza Navona blicken darf, wo sie sich so stürmisch umarmten wie Gary Cooper und Grace Kelly in High Noon . Kufr bedeutet im Arabischen wörtlich nicht Unglauben oder Ketzerei, sondern Undankbarkeit. Das ist es, präzise. Im Gebet ist der Lobpreis Gottes das erste und
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