Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Dein Name

Titel: Dein Name Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Navid Kermani
Vom Netzwerk:
Moscheekuppeln, die wie eine Himmelserscheinung am Horizont auftauchten, um die Verzückung mitzufühlen, mit der Reisende bis ins zwanzigste Jahrhundert von Isfahan berichteten. »Wenn man die Stadt betritt, erweckt sie völlig den Eindruck eines riesigen Dorfes in Südfrankreich; die Liebenden wandeln im Schatten der Bäume«, schrieb Payne, der Isfahan in den vierziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts bereiste und also von Monument zu Monument pilgerte, während hinter einer Lehmmauer noch Großvater mit Mutter Fangen gespielt haben könnte, oder wenn nicht mehr Fangen, dann ein anderes Spiel: »Man geht an den schimmernden Silbertoren einer Moschee vorbei, und der Schatten senkt sich wieder herab. Es ist keine große Stadt – nur eine Moschee, sagt man sich: Und dann kommt man zu einem großen, offenen gelben Platz, und diesen Platz umgeben die vollkommensten, die unglaublichsten Kleinodien der Baukunst, die man je sah. Der Platz heißt Meydan-e Schah , der Paradeplatz des Schahs, doch es gibt kaum genügend Worte, seine erlesene Schönheit zu beschreiben, die Kunst in der Anordnung von Palästen und Moscheen und Basaren ringsherum, das Entzücken, das einen überkommt, wenn man ihn zum ersten Mal erblickt. Die ungeheure Moschee am anderen Ende des Platzes leuchtet wie blaue Diamanten, eine zweite, dunklere Moschee von sanfterem Blau beruhigt dann die geblendeten Augen, und schließlich bleibt der Blick an dem anmutigen Palast gegenüber hängen, einem Palast, der sich in Galerien auftürmt und von den großen Türmen von Babylon abzustammen scheint.«
    Die Reinschrift der Waisen, die nicht vorzeitig heiraten soll, endet mit Großvaters gescheiterter Kandidatur fürs Parlament, von der ich gestern abend in seiner eigenen Selberlebensbeschreibung las. Daß seine Schilderung allzu umständlich ausfällt, hatte ich nicht anders erwartet. Um so mehr überraschte mich der Paukenschlag, mit dem er den politischen Abschnitt seines Lebens beendet: die Audienz bei Premierminister Mossadegh, den der CIA kurze Zeit später aus dem Amt putschte. Auch literarisch, ich glaubte es kaum, ist die Begegnung ein Höhepunkt wie bisher nur seine erste Fahrt nach Teheran in der Kutsche mit Mister Allanson. Bevor ich dahin gelange, wo die Selberlebensbeschreibung vielleicht wirklich einmal ergiebig ist, ergiebig für eine allgemeine Leserschaft oder zumindest für mich, kann ich dank der Mutter einige der Lücken füllen, die Großvater hinterließ. Sie erinnert auch an das, was ein Leben mehr als alles andere ausmacht: der Alltag, die gewohnten Gänge, Sorgen und Freuden, die jedem anderen als einem selbst geringfügig und doch sechzig oder hundert Jahre später nicht nur am Verständlichsten, vielmehr das Bedeutendste sind, weil von keiner Zeitung, keinem Historiker festgehalten, Familie und Nachbarschaft, Freundschaft und Streit, Ängste und Begehren, wie sie die Nachmittage und die Jahreszeiten verbrachte oder etwa die zauberhaften Winterabende unterm Korsi, dem traditionellen iranischen Ofen: Er stand in der Mitte eines Raumes und hatte ein langes, senkrechtes Rohr, das den Rauch durch die Decke blies. Auf dem Korsi lagen ringsum Decken aus, unter die alle Mitglieder der Großfamilie krochen, alt und jung mitsamt den Bediensteten, nur die Köpfe guckten heraus, und dann – das ist wohl legendär in allen iranischen Familien – und dann begann einer, ein Märchen zu erzählen, der zweite rezitierte Gedichte, der dritte sang ein Lied, bis die Kinder den ersten überredeten hatten, mit der Geschichte fortzufahren, die natürlich niemals ein Ende hatte. Unbemerkt wurde es Nacht, einer nach dem anderen schliefen die Greise ein, früher oder später die Kinder und bestimmt als letztes meine Mutter, dieses etwas pummelige Mädchen mit den roten Backen und wilden Locken, das am lautesten lachte und noch lauter schimpfte. Manchmal wachte sie auf, während die Erwachsenen sich noch immer Märchen, Gedichte, Lieder vortrugen, und mußte nur abwarten, um sogar einen der anzüglichen Witze zu hören oder die Fortsetzung der Geschichte zu erfahren, über die sie eingeschlafen war. Wie prahlte sie dann am Morgen vor ihren beiden älteren Brüdern! Die Mutter trägt außerdem nach, daß die Bediensteten, die bis in die Generation der Großeltern in allen wohlhabenden Familien lebten, nicht nur mit

Weitere Kostenlose Bücher