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wilden Lockenkopf, muÃte GroÃvater allerdings fast ebenso oft lachen, wenn die Mutter vor Empörung schrie â klar, daà sie dann erst recht tobte. Um so schneller brachte er sie wieder zum Quietschen, kitzelte sie, stemmte sie in die Höhe, tollte mit ihr auf den Teppichen herum, die noch nicht mit Möbeln vollgestellt waren, oder spielte im Hof Fangen. Das Haus, das GroÃvater geerbt hatte, stand im sogenannten Neuen Viertel, wo viele Notabeln Isfahans wohnten, denen die Gassen der Altstadt zu eng geworden waren. Die Neubauten der dreiÃiger, vierziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts, jeder ein kleiner Palast, obschon in der Ausstattung sachlicher als unter den Kadscharen, hatten noch den traditionellen GrundriÃ, ein bis zwei Stockwerke rings um einen schattigen Innenhof mit Obstbäumen und Blumen, dessen Mitte unbedingt ein groÃes Wasserbecken einnahm, damit sich darin der Himmel spiegelte. Vor dem Haus floà ein Bach entlang, an dem auch die halbe Verwandtschaft wohnte. Lebensmittelladen, Metzger, Bäcker, Gemüsehändler, Badehaus und dem gerade erbauten, staatlichen Krankenhaus hatten sie es nicht weit â wie auch? Noch kaum jemand und schon gar keine Hausfrau fuhr in den dreiÃiger Jahren ein Auto. Soweit die Mutter ihre damaligen Nachbarn noch kennt oder von ihnen gehört hat, ist keine einzige Familie in Iran geblieben. Auch deren Kinder und Enkel sind in die Vereinigten Staaten, nach Frankreich, Deutschland oder England ausgewandert, und von den Häusern des Viertels, obwohl es doch »neu« war, ist nichts erhalten geblieben bis auf die Klinik, einige Lehmmauern und hier und da Wände ohne das dazugehörige Haus. Der Stadt, die zweitausendfünfhundert Jahre alt sein soll, 2539, um genau zu sein, und gegründet von Juden, die nach der Befreiung aus babylonischer Gefangenschaft an ebendieser Krümmung auf den Lebenspendenden Fluà stieÃen, dieser ewigen Stadt gelten siebzig Jahre bereits als antik. Wer nicht das Land verlieÃ, wohnt heute in Apartments mit Parkettboden, Wohnküche, Aufzug, Garage und Klimaanlage, die Hochhäuser häufig auf den geerbten Grundstücken errichtet. In Iran hat nicht der Krieg die Städte von Grund auf verwandelt, sondern der Fortschritt, den Doktor Jordan und GroÃvater, Seyyed Zia Tabatabaà und Mohammad Mossadegh ersehnten. Lange Zeit so langsam wie eine Droschke mit lahmendem Klepper, zog er in den vierziger, fünfziger, sechziger Jahren mit der Durchschlagskraft vieler Bomberstaffeln in Isfahan ein, mit Teer und mit Schulen, mit Beton und mit Krankenhäusern, mit Eisen und Frauenwahlrecht, mit Stahl und mit Liebesheirat. Als GroÃvater mit meiner Mutter auf dem Teppich herumtollte (schrieb er nicht, er habe für die Kinder keine Zeit gehabt?), war Isfahan noch der Garten mit den herrlichen Palästen, Lehmbauten und blauen Moscheekuppeln, der so viele Reisende des achtzehnten und neunzehnten Jahrhunderts verzauberte. Sie alle hatten einen tage-, oft wochen- oder monatelangen Marsch durch eine menschen- und tierfressende Ãdnis hinter sich, die aus der Luft wie ein einziger trüber, zuckender und schwer atmender Organismus mit beweglichen schwarzen Flecken und Linien anmutet, ja, wie ein Meerungeheuer mit Mündern und Augen, das die ganze Zeit in seinen eigenen Stürmen brütet oder Lavaströme ausspeit, bemerkte der Amerikaner Robert Payne, dessen fabelhaften Reisebericht ich im Bücherregal der Wohnung in Köln entdeckt habe. Die Angst vor der Wüste beherrscht seit jeher die persische Dichtung, das Volkslied, die Märchen, sie hat in jeder Generation viele Iraner zum Wahnsinn getrieben, denn die Wüste ist überall, im Süden, im Osten und in der Mitte Irans, sie dringt in die Siedlungen ein, sie kriecht unter den Türrahmen hindurch, reiÃt Mauern mit sich, begräbt Wege und fegt mehrfach im Jahr über die Städte hinweg. Deshalb erfüllte der Traum von Gärten zu allen Zeiten die Phantasien und Sehnsüchte der Iraner, sind ihre Mosaike, Teppiche und Wohnhäuser Gärten nachgebildet und damit dem Paradies. Man muà sich den Kontrast von Trockenheit und Blüte, sengender Hitze und wohltuender Kühle, quälendem Durst und kühlem Wasser, vor allem aber den Kontrast der Farben vor Augen führen, von der beinah farblosen Einöde zu dem tiefen Grün der Bäume, den bunten Flicken der Ãcker und dem strahlenden Blau der
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