Dein Name
sondern fast ausschlieÃlich in der Aristokratie. Auch Mahler verwendet Motive, Themen, Muster aus der Trivialkunst, also eigentlich verbrauchtes Material, weil ihn gerade die Verbrauchtheit interessiert. Unter diesem Gesichtspunkt sind Siebenkäs und Flegeljahre vielleicht gerade nicht der Höhepunkt in Jean Pauls Werk, sondern in ihrer Ereignisfülle der Ãbergang von seinen ersten Büchern zum Operettenhaften des Titan , in dem das Klackern der Handlung zum Hammerschlag wird.
»Man schreibt sich kaum noch Briefe, ich selbst nur noch an einen einzigen Kollegen, und nicht wie dieser per Hand. Ansonsten denkt man sich, denke ich mir, daà es doch keinen Unterschied mache, nur weniger Umstände bereite und schneller sei, eine Mail zu schicken, die meinetwegen länger als gewöhnlich ausfällt. Natürlich ist es ein Unterschied, wie ich bereits im ersten Satz gemerkt habe, ein Unterschied im Schreiben ebenso im Lesen. Beim Schreiben setzt man vom ersten Satz eine bestimmte Strecke voraus, hat also den Atem, und sei es unterbewuÃt bedenkt man beim Lesen, daà Briefe, wirkliche Briefe, aus Papier sind, also von materieller Gestalt, die vielleicht ignoriert werden kann, aber nicht leichten Herzens. Sie lassen sich nicht mit einem Tastenklick löschen, verschwinden nicht wie gelesene Mails nach einer Weile von selbst, und etwas sperrt sich in uns dagegen, sie wegzuwerfen, selbst wenn wir voraussehen, daà wir sie nie wieder hervorholen. Es ist wie mit den Gardinen im Keller Deiner gestorbenen Eltern, die Ihr tagsüber in den Müllcontainer geworfen habt, um beim Sichten der unzähligen Dias abends zu entdecken, daà sie in der ersten Dachwohnung Deiner Eltern vor dem Fenster hingen. Die Situation berührte mich nicht nur, weil ich mir den Umgang Deiner Mutter mit dem Materiellen gut vorstellen kann, die Unfähigkeit, etwas wegzuschmeiÃen, die genau betrachtet eine zivilisatorische Errungenschaft ist (Tiere und moderne Menschen bewahren nichts Unnützes auf); meine eigene Mutter ist ihr nicht nur darin ähnlich. Es war sicher nutzlos und vielleicht dennoch gut, dachte ich beim Lesen, daà Deine Mutter die Gardinen aufbewahrt hat, denn nur deshalb habt Ihr sie beachtet, als Ihr die Dias durchklicktet.«
»Ja, ich bin genauso in die Idee vernarrt wie Du, etwas zu hinterlassen, muà ich gestehen, schon als Romanschreiber und Vater anfälliger für die Hybris als jemand im Theater, schaffe ich doch etwas, das mich physisch überdauert. Natürlich bleibt nichts davon â nichts davon auf Erden, wie die Religion hinzufügen würde. Wie lange hat ein Name Bedeutung? Eine Generation gewiÃ, zwei sind normal, aber bereits mit der dritten nach mir beginnt es, unwahrscheinlich zu werden, daà jemand meiner gedenkt, und bald schon abwegig und schlieÃlich unmöglich.« Wenn der Enkel die Selberlebensbeschreibung in etwas Lesenswertes verwandelt, springen für GroÃvater zwei weitere Generationen heraus, vier dann, mindestens, den UrgroÃvater hinzugerechnet sogar fünf; wenn der Enkel ein allgemeines Publikum erreicht, sogar mehr (Péter Esterházy hat in Hamornia Caelestis auch nur elf Generationen geborgen). »Das Meer bleibt, auf das ich gerade von meinem Platz unterhalb der Terrasse blicke, und nicht einmal es ewig. / Und doch sind da die Gardinen, oder sagen wir: ich stelle mir vor, daà da die Gardinen im Keller und auf den Dias Deiner Eltern sind, denn bestimmt hast Du die Situation anders erlebt. Selbst dann sind da die Gardinen, sind sie es in meiner Vorstellung geworden, ein Stück Stoff, wahrscheinlich nicht sehr teuer, den eine junge Frau vor fünfzig oder mehr Jahren nach dem Geschmack ihrer Zeit ausgewählt, wahrscheinlich selbst genäht und mit Hilfe ihres Mannes in der ersten gemeinsamen Wohnung aufgehängt hat. Mit dem ersten Umzug verschwanden die Gardinen, erst im Schrank, in der nächsten Wohnung im Abstellraum, bis sie schlieÃlich im Keller ihres Eigenheims landeten. So stelle ich es mir vor und will vielleicht nicht wissen, wie es wirklich war, erzähle Dir davon oder jemand anderem, der Deine Mutter gar nicht kennt und dennoch etwas mit ihren Gardinen verbinden wird. Und so weiter. Obwohl sie sich wahrscheinlich nie recht klar war wozu, hatte es eine Bedeutung, daà Deine Mutter die Gardinen aufbewahrt hat. Es ist nur ein Bild, sicher, doch utopisch ein Sinnbild aller Werke. Glaubt man
Weitere Kostenlose Bücher