Dein Name
denke und vor allem die Ãltere nie wieder höre, daà sie so über ihn spricht. Daà ebendiese Konsequenzen für eine Mutter wie seine oder auch die seines Freundes, die die Gardinen aufbewahrte, das Schlimmste wären, ignorierte der Jüngste. Er wuÃte es, aber er dachte in dem Augenblick nicht darüber nach. Die Mutter geriet beinah in Panik, so daà der Jüngste das Gespräch am liebsten gleich beendet hätte, sich auch darum bemühte, aber da war die Armada ihrer Abwehrargumente bereits unterwegs mit all den Kanonenbooten der Verallgemeinerung, der Drastik, der Tragik, und so lieà er sie nach ein paar Minuten allein auf der Terrasse sitzen, jetzt selbst zornig, wie er es am Abend zuvor nicht gewesen.
»Nur zwischen Befund und Operation hätte ich bisher die Zeit und wichtiger noch die Konzentration gehabt, über Deine andere Frage nachzudenken, aber das waren nur ein paar Tage, von Freitag früh bis Dienstag abend; Mittwoch morgen um halb acht lag ich hellwach im Vorraum des Operationssaals, weil die Schwester mir die Schlaftabletten zu spät gegeben hatte, bis der Anästhesist mich von der einen auf die andere Sekunde betäubte, absolut übergangslos, so stellte es sich mir dar, und mit Ansage: Achtung, jetzt gehtâs los, wie er wörtlich sagte, als schubse er mich eine Rutsche hinab. Natürlich hast du recht, die Krankheit lehrt einen vieles, allerdings in ganz anderen Fächern, als ich angenommen hatte: Die Liege ist aus Metall und wird unter einem nicht eben sanft weggezogen, so daà man mit einem Ruck auf eine darunterliegende Platte fällt, die dann über den nebenstehenden Tisch geschoben wird. Die Geschäftigkeit des beginnenden Arbeitstages â Guten Morgen, Heiner; eine Barbara hat gestern abend noch Squash gespielt â hatte etwas Beruhigendes: ich bin nur eine Nummer an einem langen Arbeitstag. / Sosehr Dankbarkeit und Erleichterung überwiegen, setzt mir die Behandlung mehr zu, als ich mir und anderen zugeben möchte, vor allem dort, wo ich die Veränderung in meinem Körper nicht zu fassen kriege, in den Muskeln, die schneller erschöpft sind, als man es von sich kennt, in den Augen, die mehrmals am Tag müde werden, obwohl ich nachts schlafe wie ein Kind, in der Beruhigung, sich eben noch nicht so viel zumuten zu können. Als stünde jemand mit Uhr und Kalender neben mir, der mir die Ausfallzeiten vorrechnet, zwinge ich mich zum Sport, lese Romane und habe auch schon wieder zu schreiben begonnen, so mühsam es allerdings ist. Seit zwei Tagen versuche ich es mit einem Brief, als dessen Adressat Du herhalten muÃt. Ein Brief, so spekulierte ich, seit Deiner in Rom eintraf, böte vielleicht eine Möglichkeit, ungenierter zu räsonieren, als es der Roman erlaubt, den ich schreibe. / Manchmal stoÃe ich in der Zeitung auf die Rezension eines Briefwechsels zwischen berühmten Dichtern und befürchte, daà in zehn, zwanzig Jahren eine ganze Gattung der Literatur verschwunden sein könnte. Womöglich ist Peter Handke der letzte, dessen Briefe ediert werden. Gut, ich lese solche Briefwechsel fast nie, sie haben schon in der Aufmachung oft etwas Sakrales, so als sei jeder Furz, den Peter Handke läÃt, bemerkenswert, nur weil er nach Peter Handke stinkt. Da schwingt ja gerade jene Ikonisierung mit, die auch dem idealistisch aufgeblasenen SelbstbewuÃtsein eines westlichen Wohlstandsbürgers ein für allemal lachhaft, wenn nicht suspekt sein sollte, wenn unter seinem Rücken die Liege aus Metall weggezogen wird, so daà er auf eine Platte fällt, die Heiner und Barbara über den nebenstehenden Tisch schieben, während sie sich über die gestrige Squashpartie unterhalten. Und doch ist die Vorstellung entsetzlich, daà Briefe keine verbreitete Form der Mitteilung mehr sein könnten â oder Walter Benjamin auf der Flucht aus Deutschland E-Mails geschrieben hätte. Andererseits hätte es ihm vielleicht das Leben gerettet.«
»Du schreibst, ich würde alles mit mir selbst ausmachen. Stimmt schon, aber gerade in der Akademie, wo ich kein eigenes Büro habe, setzt mir das Fehlen von Einsamkeit zu. Ich mache es mit mir allein aus, ohne allein zu sein, was in der Ehe neue Probleme aufwirft, die ich wiederum mit mir allein ausmache, ohne allein zu sein, was in der Ehe ⦠Und dann stimmt es auch wieder nicht, was Du schreibst, nicht nur, weil eben diese oft
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