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Dein Name

Titel: Dein Name Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Navid Kermani
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unglückliche Ehe das Aufrichtigste, bei aller Sprachlosigkeit bis weit in die seelischen und sensuellen Zwischenräume hinein Vertrauteste ist – mir Anvertraute. Allein, daß die Frau existiert, zu wissen, daß sie existierst, gibt Kraft – weil neben den vielen verborgenen, gemutmaßten Linien selbst die unglückliche Liebe eine der wenigen sichtbaren Verbindungen zur Welt außerhalb von uns darstellt. Das heißt, sie gehört nicht mehr der Wirklichkeit des Glaubens an, die notwendig die Wirklichkeit des Zweifelns ist. / Bevor ich wieder zu räsonieren beginne, höre ich besser auf meine Mutter, die gerade ruft, ich soll Melone essen kommen. Ich muß nur zusehen, wie ich Dir diesen Brief übermittle. Ich habe keinen Drucker hier, und ins Internet komme ich auch nicht, außer in Internetcafés, aber wo finde ich im spanischen Ferienort einen USB -Stick, um die Datei zu übertragen? Vielleicht finde ich auf dem Campingplatz einen Hotspot, an dem ich die Datei vom Laptop aus versenden kann (aber Du sollst sie ausdrucken und nicht nur an Deinem Computer lesen). Ansonsten wirst Du meine Nachricht erst erhalten, wenn ich zurück in Rom bin. Das ist das Gute geworden an Briefen, wie Du mir einen geschrieben: Selbst wenn sie noch wie früher tun, als hätten sie Eile – eigentlich haben sie es nicht, denn sie bleiben für immer. / Komm mich wieder besuchen – das hat Eile.«
    Â»Ein 500 kg Rumpf ist vorhin knapp an meinem linken Ohr vorbei aus 2 Meter Höhe ins Wasser gerauscht«, mailt der Ophthalmologe aus dem Segelurlaub: »Um ein Haar hätte mir das Teil den Schädel gespalten. Ohne Vorankündigung, einfach so und Tschüs!« Vier Tastenklicke danach wird der Urlauber in Spanien ein Jahr zurückgespult, als sei der Hotspot zugleich eine Zeitmaschine: »Just received this message, probably so late because I live in Ramallah. All the more I congratulate you and your wife.« Mit der verspäteten Nachricht ist die Freudenbotschaft gemeint, die der Urlauber im vergangenen Jahr von Köln aus in alle Welt posaunte: »Dear relatives, friends, and colleagues, on April, 17th, 9:27 pm our second daughter was born«, und am Samstag, dem 26. Juli 2008, um 17:34 Uhr am Golf von Rosas alle Ängste und Glücksmomente wachruft: »Thanks God. Thanks to the excellent doctors and nurses at Cologne’s university hospital.« Mit dem Headset, um Mobilfunkgebühren zu sparen, telefoniert der Urlauber mit dem Schwiegervater des Orthopäden, der übermorgen am offenen Herzen operiert wird. Obwohl beide nicht wissen, was sie sagen sollen, scheinen sie am Ende froh, miteinander zu gesprochen zu haben. Als der Urlauber die Aktivitäten seines Fußballvereins auf dem Transfermarkt studiert, erreicht ihn auf dem Handy die Nachricht, daß die Freundin der Nummer sechs wahrscheinlich an Leukämie erkrankt ist, einer Variante, die bis nach China als unheilbar gilt. Immerhin läßt die Statistik die Freundin der Nummer sechs noch ein paar Jahre leben, es können sogar zehn werden oder mehr. Als schieße Gott, dem er vor vier Sätzen gedankt hat, mit einer Schrotflinte in die Menge, so aus Spaß, weil Er nicht jedesmal abwarten mag, bis die Frist verstreicht, und jedesmal jaulen ein paar auf, die nicht damit rechnen konnten, ohne Vorankündigung, einfach so und tschüs!, während bei anderen ein 500-kg-Rumpf knapp am linken Ohr vorbei aus zwei Meter Höhe ins Wasser rauscht. Der Urlauber kennt den Klang der Garben inzwischen so gut, die Mechanismen, mit denen sich die Getroffenen zu behaupten versuchen, die eigentlich Zuckungen sind, ihr Widerstand und auch Ernst, der das Lachen gar nicht ausschließt, die Loyalität der Nächsten, das Spektrum der Reaktionen in der Umgebung, es wiederholt sich alles, ein Stichwort reicht, und er kennt schon den Verlauf und die Worte, mit denen sich Protagonisten und Zuschauer knapp verständigen. Die Freundin der Nummer sechs hat zwei Töchter, die noch nichts wissen, und von denen die eine, die in Rom zu Besuch war, im letzten Jahr bereits ihren Vater verlor. Das ist keine Schrotflinte, das ist das Fleischermesser.
    Selbst die Männer, die am hartgesottensten sind, abgewetzte Jeans, schwarze Flieger- oder braune Lederjacke, Turnschuhe oder trotz der weiten Reise Espandrillos, Gastarbeiter oder Fernfahrer, obwohl die wahrscheinlich in ihren Lastwagen übernachtet haben, auf

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