Dein Name
erkennen
   Und den ersten schönen Tod durch den Dolch aus dem Wein der Wolken.
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   Ich möchte mehr Leben, damit das Herz seine Verwandten kennenlernt
   Und ich zurückkehren kann ⦠zur Stunde aus Staub.
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In einem der englischsprachigen Nachrufe las ich, daà Darwisch vor kurzem in Haifa auftrat, wo er aufgewachsen ist, seine ersten Bücher publizierte, im Gefängnis saÃ, unter Hausarrest stand, eine Rückkehr nach Jahrzehnten, die er nicht für möglich gehalten hätte. Wenigstens einmal täuschte er sich in seinem Pessimismus, wie er es sich immer gewünscht hatte. Mit zweitausend Zuhörern war auch in Haifa die Mehrzweckhalle überfüllt, stehende Ovationen, viele Tränen. »Ich hatte nicht erwartet, daà ich mich so stark und glücklich fühlen würde«, wird Darwisch selbst zitiert: »Als ich das Publikum sah, das mir so offen entgegenkam, fühlte ich mich wieder zu Hause. Vor allem die jungen Menschen zeigen mir, daà es eine Zukunft für mich gibt.« Die dritte Operation hat er nicht mehr überlebt. In den Tagen zuvor soll er sehr ruhig gewesen, las ich weiter, geradezu heiter. Wenn schon sterben, soll er gesagt haben, dann »in einem Schwups«. Nun habe ich seine Stimme zum letzten Mal an in der Mehrzweckhalle von Ramallah gehört, in der sich dicht drängte, was vom palästinensischen Bürgertum übriggeblieben war, und drauÃen das Volk, das ein Stadion gefüllt hätte. Nun werde ich seine Stimme immer hören, seine warme und sehnsüchtige Stimme.
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Das ist ja ein Totenhaus, sagte der Agent am Telefon, der ihn bedrängt hatte zu sagen, woran er gerade arbeitet. Ja, ein Totenhaus, was sonst, dessen Wärter nun einmal lebt. Wie oft wird er tatsächlich auf www.mahmouddarwisch.com gehen, um Mahmud Darwischs Stimme zu hören? Einmal, wenn es sich ergibt; zweimal, wenn es hochkommt; dreimal wäre schon nicht mehr normal. Normal ist nicht einmal, daà ihn die Toten überhaupt aufhalten, die zwei, drei Tage mehr, die er für die Gedenktafel braucht. Werde seine Stimme immer hören, werde seine Stimme immer hören, werde seine â das hätte ein Grabredner nicht abgedroschener sagen können. Normal wäre, zwei, höchstens drei Tage bedrückt zu sein, ein allgemeines Gefühl, das wie Filmmusik die Beschäftigungen untermalt, die nicht unterbrochen werden. Nun bleibt in Rom eben jemand stehen, weil in Houston jemand eine Herzoperation nicht überlebt hat, mehr ist es nicht, er geht schon weiter, die Bedrückung hat nur um ein Weniges länger angehalten und wahrscheinlich auch um seiner selbst willen, weil Navid Kermani sich die Szenen so gut vorstellen konnte, als wirke er selbst mit, die Operation, die eigentlich gut verlaufen zu sein schien, der erste Besuch der Nächststehenden auf der Intensivstation, noch besorgt, aber hoffnungsfroh, plötzlich die ersten Komplikationen, anfangs noch unscheinbar. Er kann sich so gut vorstellen, wie Mahmud Darwisch unter einer Aluminiumdecke lag, die Schläuche, Kabel, Sonden, Pflaster, Armaturen, Bildschirme, wie er in Frieden atmete, die Augen geschlossen. Vielleicht erscheint ihm das Kapitel, das sein Tagwerk bis heute unterbrochen hat, genau gesagt bis gestern, denn jetzt ist es bereits 2:39 Uhr am Mittwoch, dem 13. August 2008, vielleicht erscheint ihm das Kapitel nur wegen des letzten Satzes so lau. Hätte er ihn nicht zitiert, könnte er ihn leicht korrigieren; am Gedächtnis, damit es bleibt, sind alle Ãnderungen erlaubt. Ach was, genauso gut könnte er sich über Sätze mokieren, die er nachträglich ⦠Der Redakteur fragt in einer Mail, die um 2:44 Uhr eintrifft â noch einer so spät am Schreibtisch â, nach dem Wohlbefinden des Romanschreibers und dem vereinbarten Artikel über den Herausgeber der Frankfurter Ausgabe. »Bin wieder zu allen Schandtaten bereit«, beruhigt der Romanschreiber sogleich, der gerade erst wieder mit Jean Paul angefangen hat: »Und doch, wenn nur die kühle Verwesung das heiÃe Gehirn besänftigt und wenn, während der Qualm und Schwaden eines aufbrausenden Nervengeistes und während die zischenden Wasserhosen der Adern die erstickte Seele umfassen und verfinstern, wenn ein höherer Finger in die Nebel dringt und den armen betäubten Geist plötzlich aus dem Brodem auf eine neue Sonne hebt: wollen wir denn
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