Dein Name
Strich durch die Rechnung machte mir Mahmud Darwisch, dessen Analyse evident war, dessen Schwermut meinen Beobachtungen entsprach und dessen Prognose meine Befürchtungen übertraf. Im Gespräch mit ihm gab ich noch nicht jeden Einspruch auf, doch in den Tagen danach, als ich weiter durch Palästina reiste, wurde ich von ebenjener Eindeutigkeit erschlagen, vor der ich stets auf der Hut gewesen war: hier Opfer, dort Täter. »Vielleicht ist das auch eine Beobachtung«, reflektiere ich es in meiner Reportage selbst: »daà mir das Verständnis ausgegangen ist. Für mich als Autor ist es eine Kapitulation.«
Erstmals las ich Darwisch, als ich in Kairo studierte, und zwar die berühmten, frühen Gedichte, die bei der neuerlichen Lektüre wie Agitprop klingen. Wie den meisten ist mir vor allem »Identity Card« im Ohr, wie sich bitâqat huwiyya im Englischen treffender übersetzen läÃt. »Tragâs ein! / Ich bin Araber« beginnt das Gedicht wie ein Faustschlag, wobei sich in der Ãbersetzung die Wucht der drei Wörter verliert, die dem Arabischen genügen, vor allem des ersten mit seinen kurzen Vokalen und dem doppelten Konsonanten dazwischen: »Sidjdjil! / Anâ âarabî!«.
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Tragâs ein!
Ich bin Araber
50.000 lautet die Nummer meines Ausweises.
Kinder habe ich acht
Und das Neunte kommt nach dem Sommer.
Macht dich das wütend?
Tragâs ein!
Ich bin Araber
Schufte mit anderen im Steinbruch
Kinder habe ich acht
Denen ich Brot schlage
Kleidung und Schulhefte
Aus den Felsen
Ich bettle nicht vor deiner Haustür
Ich werfe mich nicht zu Boden
Im Hof vor deiner Kammer.
Macht dich das wütend?
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Und so weiter, fünf Strophen. 1964 hat Darwisch sie geschrieben, im Alter von dreiundzwanzig Jahren, und den Ausschlag dieser kurzen, rotzigen Verse, die die arabische Literatur durchfuhren wie die Rockmusik die weiÃe Jugendkultur, der Raï die arabischen Vorstädte, der Rap die amerikanischen Ghettos, den Ausschlag spürten noch wir Arabisch-Studenten Anfang der neunziger Jahre in Kairo, als Darwisch selbst sich schon lange der Rolle entzog, für ein Volk zu sprechen statt nur für sich selbst. Seine Themen wurden von Gedichtband zu Gedichtband intimer und damit zugleich allgemeingültiger: Liebe und Eros, Einsamkeit und Tod. Als Palästinenser habe er keine Chance, ins Private zu fliehen, sagte Darwisch, doch sehe er seine politische Aufgabe heute darin, das zu bewahren, was die Besatzung am meisten gefährde: die Humanität. »Wir sind Menschen«, sagte Darwisch, »Menschen, die lieben, die sich streiten, die zärtlich sind und egoistisch, groÃmütig, tapfer und ängstlich.« Widerstand gegen die Besatzung, fuhr er fort, bestehe darin, Menschen zu bleiben, nicht zu werden, wozu die Besatzung einen macht. »Es sind Menschen«, dachte ich, wann immer ich in den nächsten Tagen an einem Checkpoint stand, ein Maschinengewehr auf einen Palästinenser gerichtet sah, einen Soldaten hörte, der vom Arabischen nur den Imperativ gelernt.
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   Auch wir lieben das Leben, wo wir nur können,
   Wir tanzen zwischen zwei Märtyrern, stellen zwischen den Märtyrern ein Minarett auf für die Veilchen oder eine Palme.
   Wir lieben das Leben, wo wir nur können,
   Und stehlen dem Seidenwurm einen Faden, einen Himmel zu errichten und den Aufbruch zu umzäunen.
   Wir öffnen das Gartentor, damit der Jasmin als schöner Tag auf die StraÃen hinausgeht.
   Wir lieben das Leben, wo wir nur können.
   Wo immer wir uns niederlassen, säen wir schnellwüchsige Pflanzen, wo wir uns niederlassen, ernten wir einen Toten.
   Wir blasen auf der Flöte die Farbe der fernen Ferne, malen auf den Staub des Weges ein Wiehern
   Und schreiben unseren Namen Stein für Stein â o Blitz, erhelle die Nacht für uns, erhell sie ein wenig.
   Wir lieben das Leben, wo wir nur können.
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Als ich nun im Internet die Lesung hörte und Stefan Weidners Ãbersetzung las, schien mir die GröÃe von Darwischs später Poesie paradoxerweise darin zu bestehen, daà sie bei allen persönlichen Reflexionen, Bezügen zur Weltliteratur und mystischen Anflügen eben doch politisch bleibt, also nicht nur das palästinensische Schicksal mit allen Schicksalen verknüpft,
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