Dein Name
konzentrieren, schweift Jean Paul ab und konzentriert sich meistens wieder. Bei ihm haben Satiren auf dieses oder jenes Geschehnis des Tages ebenso ihren Platz wie Sätze, neben die ich mir drei Kreuze mache, um sie mein restliches Leben nicht zu verlieren: »Aber wir sind voll himmlischer Träume, die uns tränken â und wenn dann die Wonne oder die Erwartung der träumerischen Labung zu groÃ, dann werden wir etwas Besseres als satt â wach.« Wie ein Reisender, der durch ein wundersames Land fährt, in das sonst kaum ein Tourist gelangt, jede StraÃenkreuzung photographiert, würde ich zumal aus den kleineren Romanen, die nicht einmal dem Kindler einen Eintrag wert sind, am liebsten ganze Seiten zitieren. Diesen noch: »Nein, zwischen zwei Seelen, die sich einander die Arme öffnen, liegt gar zu viel, so viele Jahre, so viele Menschen, zuweilen ein Sarg und allezeit zwei Körper. Hinter Nebeln erscheinen wir einander â rufen einander beim Namen â und ehâ wir uns finden, sind wir begraben. Und wenn man sich findet, istâs denn der Mühe, des Namens der Liebe wert, die paar glühenden Worte, unsre kurzen Umarmungen?« 1794 ist das geschrieben, nicht 1974, im selben Jahrzehnt, in derselben Sprache, in derselben Generation, in denen noch Hyperions reine Liebe zu Diotima besungen wird. Zugegeben schlägt Jean Pauls Freiheit, alles sagen zu können, häufig in alles sagen um, ins andere Extrem von Hölderlins Dringlichkeit. Wie immer bei Jean Paul lese ich regelmäÃig über Seiten hinweg, um einen einzelnen Absatz wieder und wieder zu beginnen. Aber auch Gott reiht keine Schicksalstage aneinander. »Uns alle zieht eine Garnitur von faden flachen Tagen wie von Glasperlen ins Grab, die nur zuweilen eine orientalische wie ein Knoten abteilt.«
Wie viele andere Notabeln kauften auch die GroÃeltern Ende der dreiÃiger Jahre einen der Gärten am Teheraner Tor, um darauf ein Haus nach ihrem eigenen Geschmack zu errichten. »Es ist, als ob sich Stilgefühl und Ãsthetik aus der heutigen Architektur, trotz aller Mittel, über die sie verfügt, vollständig verabschiedet hätten«, spottete Sadegh Hedayat bei seinem Isfahanbesuch über die Neubauten jener Zeit. »Die Häuser, die man jetzt baut, sind weder iranisch noch europäisch. Jedes Gebäudeteil verkündet etwas anderes: Die Säulen, zum Beispiel, sind nach griechischer Manier, die Gewölbe herkömmlich iranisch und die Fenster eine Imitation des englischen Stils, so daà der Eindruck entsteht, die einzelnen Bestandteile wollten sich alle verselbständigen und man müsse das Gebäude fest umarmen, damit es nicht auseinanderfliegt.« Wenn ich die sehr detaillierte, allerdings hier und dort etwas unübersichtliche Darstellung der Mutter richtig verstehe, betrat man das Haus durch ein Tor, das sich nach neuester Technik mechanisch öffnete, und stand zunächst in einem überdachten Hof. Auf der rechten Seite führte eine Tür zu einer kleinen Terrasse, links lagen zwei Zimmer, um die Bauern zu empfangen und unterzubringen, die mit allen erdenklichen Nöten bei GroÃvater vorsprachen, Dürre, Geldmangel, Streitereien oder Familienfehden. Wenn sie die weite Reise schon auf sich nahmen, brachten sie meist ein, zwei Kranke mit, die sie zur Behandlung zurücklieÃen, da es auf den Dörfern keine Ãrzte gab. Auf der gegenüberliegenden Seite des Hofes stand ein Stall, in dem auÃer Hühnern zwei, drei Kühe oder Schafe untergebracht waren. Ãberquerte man den überdachten Teil des Hofes, erreichte man einen breiten Durchgang, an dessen rechter Wand sich Jasminsträucher hochzogen. »Ihr Duft«, schreibt die Mutter, »erfüllte vom Frühjahr bis in den späten Sommer das gesamte Grundstück wie ein starkes Parfüm.« Auf der anderen Seite des Wegs lag ein groÃer Garten: »Im Sommer lasen wir unsere Bücher immer unter den Bäumen und bereiteten uns dort auf die Prüfungen vor. In den Pausen gingen wir umher und pflückten das leckere Obst. Am liebsten hatte ich die zuckersüÃen Aprikosen, die Kirschen und die Beeren.« Am Ende des Gartens lagen zwei Blumenbeete, in denen GroÃmutter unter anderem die berühmten Rosen von Isfahan züchtete, und in der Mitte ein groÃes Wasserbecken, das die Erwachsenen für die rituelle Reinigung vor dem Gebet und die Kinder zum
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