Dein Name
überhüpft, sondern diese Vorrede«. Figuren treten als Ich-Erzähler auf, die Jean Paul zitieren, der sie überträfe, und Leser führen Klage gegen einen gleichnamigen Erzähler, weil der zu oft abschweife. Sie wollen Literatur, er das Leben, in dem es nun einmal nicht zugeht wie in einem Roman. Jean Paul führt die Romanmanufakturisten, uns alle, nicht nur vor, indem er über sie spottet, sondern indem er das gewöhnliche Sagen in das jeweilige Extrem treibt, Verdichtung und Ausdehnung, wie es die Traktate an mystischen Zuständen erklären. So ausufernd Jean Paul an der einen Stelle über einen einzigen Anblick meditieren kann und damit die Handlung verlangsamt, beschleunigt er anderswo eine ganze Liebesgeschichte zu einem einzigen Satz, von der Befangenheit des Anfangs über den ersten Kuà bis zur Ekstase, in die der Kuà ausartet, und das alles auch noch mit Witz: »Vor einer solchen magischen Gestalt, vor einer solchen verklärten Liebe zerschmolz ihr mitleidender Freund zwischen den Flammen der Freuden und Schmerzen und versank, mit erstickten Lauten und von Liebe und Wonne niedergezogen, auf das gute blasse und himmlische Angesicht, dessen Lippen er blöde drückte, ohne sie zu küssen, bis die allmächtige Liebe alle ihre Gürtel um sie wand und beide enger und enger zusammenzog, und bis die zwei Seelen, in vier Arme verstrickt, wie Tränen ineinanderrannen.« Und während man noch verzückt ist von dem so unbeholfenen Ausbruch glühender Empfindungen, frohlockt Fixlein selbst bereits zu Beginn des nächsten Kapitels nur mehr wie ein Prüfling, »daà er nun das Antrittsprogramm der Liebeserklärung gleich hinter sich hatte«. Nicht nur in ihrer Unordnung, der Atemlosigkeit und Ãberforderung, die seine verschachtelten, dem natürlichen Sprechfluà widerstrebenden Sätze hervorrufen, der Gleichzeitigkeit und Gleichgültigkeit der Wahrnehmung, nehmen Jean Pauls Romane die Struktur unserer Wirklichkeit auf und übertreffen eben in ihrem Kunstcharakter jeden Realismus â auch in der Entschlossenheit zum Alltäglichen, die der AnmaÃung geschuldet ist, vom Vergänglichen nicht nur zu sprechen, sondern die Vergänglichkeit selbst nachzubilden. Nichts wird der Phantasie überlassen, nicht nur jeder Name genannt wie im Frankfurter Hölderlin oder in GroÃvaters Selberlebensbeschreibung, sondern bei Jean Paul zusätzlich jeder Nebenaspekt noch in seinen Nebenaspekten aufs genaueste geschildert, in den Flegeljahren noch die dritte und vierte Tischrede vollständig zitiert, so daà sie genau jene Langeweile erzeugen, jenes Weghören, Abschweifen der Gedanken, die sich bei Tischreden nun eben einstellen. Jemand findet einen Brief. Gut, denke ich, laà sehen, was darin steht, aber bis man es erfährt, wird erst einmal der Umschlag über anderthalb Seiten betrachtet. Ein anderes Beispiel ist die sechste Klausel des Testaments, das Stimmen des Klaviers: Unmöglich daà Jean Paul sich ab dem zweiten oder dritten Klavier, das der Held stimmt, mit Andeutungen begnügt. Noch beim fünften, sechsten, siebten Klavier muà der Vorgang in all seinen musikalischen Tönen und MiÃtönen beschrieben und juristisch bis hin zur Frage erörtert werden, wieviel Wert dem Zeugnis eines Juristen im Vergleich zum Zeugnis eines Laien zukommt. Von raffinierten Ãbergängen kann dabei noch weniger als in GroÃvaters Selberlebensbeschreibung die Rede sein, eher geht es um Vollständigkeit: hier passiert dies, währenddessen passiert das, und das dritte danach. Das Abseitige ermüdet, die FuÃnoten, Zitate, Zwischengespräche, nebst dem Erhabenen das Banalste, Seitenhiebe, Schoten, dann eingestreut ganz ernste Sätze wie die über das Kind, das keinen Tod begreift, »jede Minute seines spielenden Daseins stellt sich mit ihrem Flimmern vor sein kleines Grab«, und die Erwachsenen, die nicht weiter denken, »es ist unbegreiflich, mit welcher Kälte tausend Menschen sagen können: das Leben ist zu kurz«, Gedanken zur Zeit, Spezialinteressen, literarische Einschätzungen â aber das ist in der Wirklichkeit so und wäre anders im Roman Lüge. Eben in dem Sinne, daà das Leben mitunter langweilt, langweilt Jean Paul, daà die Tage mal erfüllter, mal weniger erfüllt vergehen, vergehen die Kapitel bei Jean Paul, daà die eigenen Gedanken abschweifen und sich wieder
Weitere Kostenlose Bücher