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nicht überhören konnte, lieà er sich nie etwas anmerken und fuhr mit lauter Stimme fort, die arabischen Verse zu rezitieren.« Ohne benennen zu können, was es mit ihm tut, fühlt sich der Enkel ebenfalls unwohl, wenn er der Pflicht nicht rechtzeitig nachkommt. Nach dem Turnier der Akademien zum Beispiel ging er nicht mehr mit in die Pizzeria, weil er sonst das Nachmittagsgebet verpaÃt hätte und auch nicht rasch neben dem FuÃballplatz beten wollte, wo es zur Demonstration geraten wäre, und manches Morgengebet holt er im Zug oder im Flugzeug nach, nur die Worte, die Bewegungen des Oberkörpers und der Hände angedeutet wie die Eltern früher auf den Flügen nach oder von Iran, weil er beim Stellen des Weckers nicht daran gedacht hatte, die zehn Minuten für Gott zu berücksichtigen. Das Morgengebet betet er ohnehin erst nach Sonnenaufgang, also verspätet, das hat er schon mit sich ausgehandelt, aber dann muà es auch sein, nach dem Aufstehen, nicht erst am Vormittag, wenn er fast schon das Mittagsgebet sprechen könnte, das die Schiiten mit dem Nachmittagsgebet zusammenlegen dürfen. Gewià fiele das Stichwort Meditation, sollte er einem AuÃenstehenden erklären, warum er betet, doch vermittelt es eine falsche Vorstellung. So blöd es klingt, merkt er, daà sich während des Gebets auffällig oft â und zwar nur im Stehen â die Luft im Hintern staut. Er ist nicht sicher, hält es auch für unwahrscheinlich, aber ganz ausschlieÃen kann er nicht, daà ein Furz die rituelle Reinheit aufheben und damit das Gebet ungültig machen würde. Jedenfalls ist der Enkel die meiste Zeit weit von allem entfernt, was im Esoterikseminar Basisstufe I als Versenkung durchgehen könnte. Gleichwohl betet er gern, das merkt er, aber nicht weil es guttut, beziehungsweise tut das Gebet gerade dadurch gut, daà es nicht dafür da ist gutzutun. Es ist Pflicht, endlich einmal nicht Wellness. Was der Betende erlebt, ist nebensächlich, seine Angelegenheit. An der Klagemauer telefonieren die orthodoxen Juden mit dem Handy, während sie die Thora aufsagen. Hinter der Absperrung schwatzen die Muslime, während der Koran zum Vortrag gebracht wird. Es gibt weitere Gründe, weswegen der Enkel das Beharren GroÃvaters achtet, seine Töchter in die Religion einzuweisen, der klare Monotheismus wie im Judentum, der eine personale, strenggenommen sogar jedwede Gottesvorstellung ausschlieÃt, so daà ein Muslim oder jedenfalls ein muslimischer Mystiker auf das Wort Gott beinah verzichten könnte, das ein Name für alles ist und damit für nichts; die simple, unmittelbar zugängliche Grundstruktur des Glaubens: Gott, Mensch und Mitmensch, die keiner Gnadenakte, keines Katechismus und keiner Erleuchtung bedarf, um zu begreifen; der Vorrang der Werke vor dem Bekenntnis; der Vorrang der Barmherzigkeit vor der Nächstenliebe, die dem Enkel eine Ãberforderung zu sein scheint; der Vorrang der Gerechtigkeit vor der Gnade; die Welt als eine Ansprache Gottes an den Menschen, damit als ein System von Zeichen, die zu verstehen ein gemütlicher Spaziergang ebenso ermöglicht wie guter Sex. Aber der wichtigste Grund ist das Gebet selbst geworden. Der Enkel meinte es zu verrichten, weil er glaubt; jetzt merkt er, daà er glaubt, weil er es verrichtet. Es tut wohl, sich vor etwas Höherem niederzuwerfen, das kein Mensch und nicht einmal eine Vorstellung ist, anzuerkennen, daà es etwas GröÃeres gibt als einen selbst, als die Menschen alle, aber dafür muà man stehen, und nach der Unterwerfung muà man sich rasch wieder aufrichten, die prinzipielle Gebetshaltung nicht gebeugt, mit gefalteten Händen, sondern aufrecht, die Arme ausgebreitet, die Handflächen nach oben. Speziell am schiitischen Islam flöÃen Achtung ihm die Imame ein, die sich opferten und nicht andere aufopferten, ihre herzergreifenden Geschichten, die einfach auch phantastische Literatur sind, die Trauergesänge und Passionsspiele, die GroÃvater allerdings ablehnte; dem Enkel leuchtet noch mehr das Vernunftprinzip ein, das GroÃvater hochhielt und sich in einigen Kreisen der Theologie bis heute rein erhalten hat, also nicht neu entdeckt werden muÃ, und der Mystik nicht entgegensteht. Ihm imponieren die Kuhlen, in die der Vorbeter hinabsteigen muÃ, damit er sich nichts einbildet. Das hat ihm als Kind schon eingeleuchtet, wenn sie in Isfahan
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