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Dein Name

Titel: Dein Name Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Navid Kermani
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waren: daß der Vorbeter tiefer stehe als die, die hinter ihm beten.
    Â»Gleich wie empört wir darauf verwiesen, ausgeschlafen zu sein, bestand Papa außerdem darauf, daß mindestens die kleineren Kinder die Mittagsruhe einhielten. Damit meine Mutter ihre Ruhe hatte, nahm er meine jüngere Schwester und mich mit in sein Zimmer, wo wir uns neben ihn legen mußten. Wir jedoch warteten nur, bis das erste Schnarchen zu hören war, um aus seinem Bett zu hüpfen. Wir zwei Teufel! Papa schlief so fest, daß wir ihm kichernd an den Augenlidern zupften oder um die Wette einen, zwei oder sogar drei Finger in seinen weitgeöffneten Mund steckten. Wenn uns bald langweilig wurde, weil er ohnehin nicht reagierte, schoben wir einen Stuhl ans Fenster – und nichts wie weg. Die Tage waren viel zu kurz, um sie mit Schlaf zu verplempern.« Ich täte der Mutter keinen Dienst, würde ich wörtlich übersetzen. Bei der Beschreibung des Hauses stützte ich mich auf meine eigene, vage Erinnerung und ansonsten auf die Phantasie, wo ich Angaben der Mutter zur Zimmeraufteilung nicht mehr durchschaute, und den Übergriff des Kochs habe ich unterm Headset wahrscheinlich auch nicht korrekt mitgeschrieben. Mama ( Mâmân )und Papa ( Bâbâ )nennt die Mutter fünfundsiebzigjährig ihre Eltern aber wirklich. »Damals war der Ramadan noch ein Festmonat. Wenn wir vor dem Morgengrauen geweckt wurden, sprangen wir Kinder voller Tatendrang aus dem Schlaf und freuten uns auf das gemeinsame Frühstück, das einem Mittagessen glich. Wie immer aßen wir es rund um die Tücher, die auf dem Teppich ausgebreitet wurden, je nach Jahreszeit auf der Veranda oder in der Halle. Mohammad Hassan, der die Speisen nachts zubereitete, um tagsüber zu schlafen, war der einzige im Haus, der nicht fastete. Mama hatte die Angewohnheit, als letzte zu essen. Erst servierte sie Papa, dann den anderen Verwandten und uns Kindern, schließlich den Bediensteten, die im gleichen Raum, aber auf einem eigenen Tuch aßen und immer die größten Portionen erhielten, schließlich arbeiteten sie auch. Erst wenn sie sah, daß alle zufrieden kauten und gerade niemand einen Nachschlag haben wollte, tat sie sich selbst etwas auf den Teller. Häufig waren die ersten schon satt, da hatte Mama noch nicht angefangen zu essen – eine Gewohnheit, die ich wie die meisten anderen Gewohnheiten, die guten wie die schlechten, von ihr übernommen habe. Auch mich schimpfen dann alle, warum ich nicht endlich esse, ich würde ihnen den Appetit verderben. Damals verstand ich meine Mutter nicht und ärgerte mich ebenfalls oder machte mich lustig, aber seit ich selbst Kinder habe, weiß ich, warum sie nicht mit uns mitaß. Sie wollte, daß niemand übervorteilt würde, und die guten und nicht so guten Stücke des Fleisches gleichmäßig verteilen. Wenn sie sicher sein konnte, daß alle satt wurden und es allen schmeckte, aß sie mit um so größeren Appetit.«
    So glücklich, wie sie ist, daß der Sohn ihre Aufzeichnungen überhaupt ernst nimmt, kann er auch Kritik üben. Nicht erst die Übersetzung, schon der persische Text bedürfte einer entschiedenen Bearbeitung. Der Sohn vermittelte ihr einen iranischen Literaten, der sich in Heidelberg mit Gelegenheitsjobs durchschlägt. Die Mutter telefonierte zweimal mit dem Literaten, der in dem Manuskript Potential sah, bevor sie am Freitag, dem 22. August 2008, einen Rückzieher macht. Sie scheut die Investition in ein Projekt, dessen Ausgang ihr mehr als unsicher erscheint, und denkt an die junge Waise in Isfahan, die ihre Notizen so preiswert abtippt, daß es nicht so sehr ins Gewicht falle, sollte alles umsonst gewesen sein. Bevor sie dem Literaten absagt, fragt sie den Sohn, ob er ihr deswegen böse sei. – Wieso sollte ich? fragt der Sohn zurück, der unterm Headset zurückgerufen hat. Angeblich will er Telefongebühren sparen; tatsächlich hat er rasch den Absatz auf den Stand der Dinge gebracht und für den Rest die Hände frei. – Dann ist es ja gut, sagt die Mutter, ich hatte mich nur vor deiner Reaktion gefürchtet. Wieder staunt der Sohn, der seine Grobheit selten bemerkt, über das Bild, das sie von ihm hat. Obwohl er den Ausgang weniger skeptisch beurteilt, unternimmt er keinen Versuch, sie von der Zusammenarbeit mit dem Literaten zu überzeugen. Stillschweigend gibt er ihr recht: Erst muß sie

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