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Dein Name

Titel: Dein Name Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Navid Kermani
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begründete die Mission. Er soll, hier hört die Bibel auf und beginnt die Legende, bei Maria Himmelfahrt anwesend gewesen sein und mit Paulus ihre Bahre getragen haben. Er soll, wieder seine Wunderkräfte, die Hände des Hohepriester geheilt haben, die gelähmt an der Bahre hingen, weil er versucht hatte, das Begräbnis zu verhindern. Nach katholischer Lehre reiste er später nach Rom und bekehrte die Menschen vom persischen Kult zur Anrufung Christi. Das war kein gewöhnlicher Mann, der unter Nero zum dritten und letzten Mal in den Kerker kam, das war selbst in den Relationen der Apostelkataloge, die ihn sämtlich an erster Stelle aufführen, ein Mensch, wie er übermenschlicher nur ein Messias sein kann, seine Beharrlichkeit trotz der Schwäche, sein Glaube trotz der Furchtsamkeit, seine Überzeugungskraft trotz der Zweifel. Die junge Gemeinde mahnte er, die Verfolgungen freudig zu ertragen, da das Leiden der Gläubigen Gott ehre (1. Petrus 4,16), woran Großmutter ebenfalls glaubte, hingegen Großvater nicht. Noch in der letzten Entscheidung bewies er unerhörte Demut, indem er aus Ehrfurcht bat, nicht wie Jesus gekreuzigt zu werden, sondern mit dem Kopf nach unten. Und doch starb er, selbst er, einen gemeinen Tod. »Es gibt eine wichtige, ungeheure Weltgeschichte, die der Sterbenden«, sagt Jean Paul, »aber auf der Erde werden uns ihre Blätter nicht aufgeschlagen.« Bei Caravaggio weint Petrus nicht, er klagt nicht oder winselt gar um Gnade, aber auch auf YouTube wahren Menschen Haltung, die unterm Galgen oder vor Gewehrläufen stehen. Selbst Saddam Hussein hat Haltung bewahrt, wie niemand es ihm zugetraut hätte, und Madjid Kawussifar, von dem ich noch immer nicht weiß, ob er ein Märtyrer war oder nicht doch ein gewöhnlicher Mörder, lachte wie befreit, als der vermummte Polizist ihm die Schlinge um den Hals legte. Man kann auch kein Anzeichen erkennen, daß Petrus an Gottes Barmherzigkeit zweifeln würde. Was geschieht, muß geschehen, daran scheint er nicht zu rütteln, zumal er sein Ende lange vorher bereits kannte, sogar »mit welchem Tode er Gott preisen würde«, gegürtet nämlich und mit ausgestreckten Händen (Johannes 21,19). Und doch hat Petrus Angst. Das zeigt er nicht den Schergen, aber in seinem Gesicht zeichnet sich das Entsetzen ab, der offene Mund. Er bereut bestimmt nicht, Gott mehr gehorcht zu haben als den Menschen, aber vielleicht bereut er ein wenig seinen Mut, sich mit dem Kopf nach unten kreuzigen zu lassen, die Schmerzen müssen ihn jetzt schon zerreißen, ihm schwindelt, wie an den Augen zu erkennen ist, und gleich schießt ihm auch noch alles Blut in den Kopf. Wahrscheinlich wird er sich übergeben müssen, Herr Burckhardt. Er ist überrascht, das ist vielleicht der stärkste Eindruck, trotz aller Einsicht, allem Wissen und einem Glauben, der buchstäblich Berge versetzt, kann nicht einmal er es fassen, jetzt sterben zu müssen, so sterben zu müssen, deshalb wohl hebt er noch den Kopf, um sich zu versichern, daß es tatsächlich ein Nagel ist, der seine Hand durchbohrt. Es ist zugleich ein letztes, instinktives und sinnloses Zucken, um der Schwerkraft zu entgehen. Petrus, der Fels, ist ein Mensch. Diese Wahrheit offenbar werden zu lassen, die jeder weiß und nirgends steht, gelingt keinem Naturalismus, keiner Photographie und nicht einmal dem Auge. Du kannst sie nur erleben.
    Die Gründe für die Absicht des Romanschreibers, von allen Menschen Zeugnis abzulegen, die ihm auf Erden fehlen, sind in dem Roman, den ich schreibe, vielfältig, wenngleich nicht spektakulär, eine Häufung von Trauerfällen in seiner Umgebung, Schuldgefühle gegenüber Verstorbenen, ein mißlungener Versuch, den spezifischen Schock des Todes in einer konventionellen literarischen Form zu erfassen, gewiß auch der Eindruck, daß sein eigenes Leben aus den Fugen geraten ist, die Liebe am Boden, zugleich die Frau und so weiter. So existentiell die Gründe dem Romanschreiber erscheinen, sind sie für die Poetik des Romans, den ich schreibe, nicht der Rede wert, gibt es doch, wie Jean Paul sagt, »keine fragende Brust in dieser runden Wüste, zu welcher nicht irgend einmal der Tod träte und antwortete«. Bemerkenswert ist allenfalls, weil es auf eine psychologische und literaturgeschichtliche Konstante hindeutet, daß sich die Frage nach dem Tod auch dem Romanschreiber so

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