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grundlegend stellt, als er gemäà der durchschnittlichen Lebenserwartung seines Jahrgangs, Erdteils und Geschlechts jene »Hälfte des Lebens« erreicht, über die Hölderlin sein berühmtestes Gedicht verfaÃte. Im Hyperion heiÃt es: »O ihr Armen, die ihr das fühlt, die ihr auch nicht sprechen mögt von menschlicher Bestimmung, die ihr auch so durch und durch ergriffen seid vom Nichts, das über uns waltet, so gründlich einseht, daà wir geboren werden für Nichts, daà wir lieben ein Nichts, glauben ans Nichts, uns abarbeiten für Nichts, um mählich überzugehen ins Nichts â was kann ich dafür, daà euch die Knie brechen, wenn ihrs ernstlich bedenkt? Bin ich doch auch schon manchmal hingesunken in diesen Gedanken, und habe gerufen, was legst du die Axt mir an die Wurzel, grausamer Geist? und bin noch da.« Nun hat nicht Hölderlin, der ein ganzes Drama über den Tod schrieb, sondern Jean Paul, den man eher für seine Idyllen, seine kauzigen Helden und seinen putzigen Humor kennt, deutlicher als jeder andere deutsche Schriftsteller das Wissen um die eigene Endlichkeit, die Qual des Sterbens und die Unmöglichkeit, über den Tod hinauszusehen, als Ursache für das Bedürfnis des Menschen empfunden, etwas Unendliches, Ewiges, Göttliches zu postulieren. Daà die Totenglocke klingelt, wenn einer von uns gemacht wird, wie es im Siebenkäs heiÃt, ist ein oder sogar das eine Motiv, das sich durch sein gesamtes Werk zieht, am prominentesten im Siebenkäs selbst mit der ungeheuerlichen Rede des toten Christus, der Gott anruft, den es nicht gibt: »Schaue hinunter in den Abgrund, über welchen Aschenwolken ziehen â Nebel voll Welten steigen aus dem Totenmeer, die Zukunft ist ein steigender Nebel, und die Gegenwart ist der fallende. â Erkennst du deine Erde?« Es müsse ein Stück von der andern Welt in diese mit hereingemalt werden, damit sie ganz und gerundet werde, sagt Leihgeber bereits im zweiten Kapitel, ich muà die Stelle im Gepäckwagen des CityNightLiners nach Hamburg-Altona übersehen haben, und so geht mir erst im Blick vom Leben des Quintus Fixlein zurück auf die bisherigen Bände der Dünndruckausgabe auf, wie genau und verwinkelt sich in der Einsamkeit Christi die Einsamkeit aller Menschen reflektiert, etwa die Einsamkeit Firmian Siebenkäsâ nach einem Abschied, den Jean Paul mit allen Farben eines Liebestods schildert: »Nein, nein, ich habâ es schon gewohnt, daà in der schwarzen Magie unsers Lebens an der Stelle der Freunde plötzlich Gerippe aufspringen â daà einer davon sterben muÃ, wenn sich zwei umarmen, daà ein unbekannter Hauch das dünne Glas, das wir eine Menschenbrust nennen, bläset, und daà ein unbekannter Schrei das Glas wieder zertreibt.« Noch konzentrierter auf das Thema des Todes, genauer gesagt: die Angst vorm Sterben, ist der Quintus Fixlein , den Jean Paul unmittelbar vor der Arbeit am Siebenkäs beendete. An Pessimismus übersteigt insbesondere die Erzählung vom »Tod eines Engels«, die dem Roman als Prolog vorangestellt ist, sogar die Rede des toten Christus, insofern sie die Verlorenheit des Menschen in keinen metaphysischen Zusammenhang rückt. Nachdem sich sein Wunsch erfüllt, einmal zu sterben wie ein Mensch, ruft der Engel: »O ihr gedrückten Menschen, wie überlebt ihr Müden es, o wie könnt ihr denn alt werden, wenn der Kreis der Jugendgestalten zerbricht und endlich ganz umliegt, wenn die Gräber eurer Freunde wie Stufen zu euerem eignen hinuntergehen, und wenn das Alter die stumme leere Abendstunde eines erkalteten Schlachtfeldes ist, o ihr armen Menschen, wie kann es euer Herz ertragen?« Die Gräber unsrer Freunde wie Stufen zu unserem eigenen hinuntergehen â das ist mehr als Becketts biblische Einsicht, daà Leben nur Sterben ist, das ist viel kleinmütiger und daher wahrhaftiger aus der Sicht des Menschen gesprochen. Nicht das Leben ist Sterben, sondern meins . In keiner anderen Vision der deutschen Literatur ist der Tod so erbärmlich auf den individuellen, weder religiös noch gesellschaftlich oder philosophisch verallgemeinerten, konkret körperlichen, unmittelbaren, nackten und damit urmenschlichen oder vielmehr tierischen Schrecken reduziert, vernichtet zu werden. Eine Idylle ist Quintus Fixlein nur, damit sie zerspringt. Im Unterschied zu den längeren Werken
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