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schreiben, was und wie sie selbst will. Ob es einen Gebrauchswert hat, wie er es mit Blick auf den Roman nennt, den ich schreibe, wird sich später erweisen. Das Risiko, daà alles umsonst ist, sei das mindeste, das sie und jeder Autor in Kauf nehmen müsse, fügt er noch hinzu. Ohnehin nimmt er an, daà es auf ihn fallen wird, ihre Selberlebensbeschreibung einer Verwertung zuzuführen oder eben nicht. Wenn die Mutter zum Arzt muÃ, geht sie schlieÃlich auch zu einem seiner Brüder. Zwar nimmt sich der Sohn vorerst nur, was das Leben seines GroÃvaters ergänzt. Aber wo er einmal dabei ist, poliert er ihren Text bereits. So viel Arbeit, wie er gegenüber der Mutter behauptet, ist es gar nicht.
»Während des Ramadans ging Mama mit Mah Soltan, Djahan und uns Mädchen jeden Abend aus. Den Tschador übergezogen, besuchten wir die religiösen Gesänge und Gemeinschaftsgebete, die in vielen Häusern der Stadt stattfanden. Wenn wir eintraten, wurden wir sofort zu der Hälfte des Salons geführt, in der die Frauen auf dem Boden saÃen, und man brachte uns Tee und Mama eine Wasserpfeife. Die Männer saÃen in ihrer Hälfte meistens auf Stühlen. Die Kanzel stand gewöhnlich in der Mitte des Salons, manchmal auch mitten zwischen den Frauen. Der Prediger rezitierte als erstes aus dem arabischen Koran und interpretierte dann die Verse auf persisch. Nach einer kurzen Predigt begann er von den Märtyrern zu singen, besonders von Imam Hossein. Seine Aufgabe bestand eindeutig darin, seine Zuhörer zum Weinen zu bringen, da das Leiden der Gläubigen Gott ehre. Erst wenn der ganze Saal heulte und wehklagte, sich die Haare raufte und rhythmisch auf die Brust schlug, konnte der Prediger den Auftritt als Erfolg verbuchen. Er muÃte die Gefühlswallungen auch wieder abebben lassen, um nach einem Gemeinschaftsgebet von der Kanzel herabsteigen zu können. Nach ihm kam ein weiterer Prediger an die Reihe, und es ging wieder von vorn los. Wenn die Gläubigen merkten, daà jemand nicht besonders gut predigte, sein Gesang weniger ergriff und sie nicht so heftig weinten, standen sie einer nach dem anderen auf, um den nächsten Salon, die nächste Trauerfeier zu besuchen. Vor allem die Frauen waren rasch verschwunden, wenn der Prediger keine schöne Stimme besaÃ, und noch schneller, wenn er nicht gut aussah. Dem Prediger war es natürlich höchst unangenehm, wenn die ersten Gläubigen den Salon verlieÃen, so daà er noch mehr Verzweiflung in seinen Gesang legte, damit die Trauergemeinde endlich zu weinen begann. Man wuÃte dann nicht recht, ob seine Verzweiflung, die sich zu panischem Entsetzen steigern konnte, den besungenen Martyrien galt oder seiner Erfolglosigkeit. Es kam vor, daà sich ein Salon innerhalb von Minuten leerte, bis nur noch der niedergebeugte Prediger mit seinen Gastgebern zurückblieb, die peinlich berührt waren und womöglich das Honorar neu verhandeln wollten. Die Prediger zogen übrigens ebenfalls von Versammlung zu Versammlung, so daà man ihnen am selben Abend oft mehrmals zuhörte. Beim zweiten oder dritten Mal ahnte man bereits, bei welchen Versen sie die Stimme anhoben oder senkten, vor welchen Schilderungen sie eine Pause einlegten, als ob es ihre Kräfte überstiege fortzufahren, welche Endreime sie mit Tremolo sangen und wo sich das Tremolo â spätestens beim Tod Hosseins â in Heulkrämpfen auflöste. Der Wirkung tat das keinen Abbruch, im Gegenteil. Je besser wir einen Gesang kannten, desto schneller reagierten wir auf seine Signale. Oft war Imam Hossein noch gar nicht tot, da schrien wir uns schon die Seele aus dem Leib vor Trauer. / Einen Prediger gab es, ich weià nicht mehr, wie er hieÃ, den die Frauen besonders liebten. Er war jung, er war hübsch, und eine gute Stimme hatte er obendrein. Ganze Abende folgten wir schnellen Schrittes seinem Pferd, auf dem er von Auftritt zu Auftritt ritt, und drängten uns in die erste Reihe, wir Mädchen immer vorneweg. â Die Gebetsversammlungen waren auch Kontaktbörsen, und die Heiratsmakler folgten uns oft von Gebetsversammlung zu Gebetsversammlung, obwohl wir erst zehn, zwölf Jahre alt waren und Mama sie fortscheuchte. Vor Kichern konnten wir uns dann nicht mehr einkriegen. Wenn wir schlieÃlich spät in der Nacht nach Hause kamen, schimpfte mein armer Papa mit uns, der die Ramadanabende im stillen Gebet oder mit der
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