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Dein Name

Titel: Dein Name Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Navid Kermani
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Staat ist für sie ein Geschäftsbereich, schimpft der ehemalige Bürgermeister und rührt im vierten Espresso. Er selbst sei ein Linker alter italienischer Schule, mit Dreizehn bereits Generalsekretär der Kommunistischen Partei auf Lampedusa, weil er sicher lesen und schreiben konnte, als sich das in Süditalien noch nicht von selbst verstand. Er sei immer ein Aufrührer gewesen, noch als Jugendlicher sein erster politischer Sieg: die Einrichtung eines Schildkrötenreservats im Osten der Insel. Die Photos hängen an den Wänden. Lampedusa sei eigentlich christdemokratisch, sagt er, sein eigener Wahlsieg eine Ausnahme gewesen. Aber die Christdemokraten waren wenigstens noch Gegner. O wie sehr er diese neuen Typen verachtet, ihre Ignoranz, ihre Gesinnungslosigkeit, ihren Opportunismus. Sie kennen nichts von der Geschichte Lampedusas, sagt er, über die er gerade ein Buch schreibt, ob sich in Deutschland ein Verlag fände, um es zu übersetzen? – Wir sind doch selbst ein Volk von Migranten, von Bootsflüchtlingen, wenn Sie so wollen, sind nach Tunesien ausgefahren, weil es Arbeit damals in Afrika gab. Viele von uns haben Araberinnen geheiratet, andere sind dort geboren und später mit den Eltern nach Lampedusa gezogen. Viele von uns sind Araber, auch wenn sie das nicht gern hören. Es ist morgens um halb zehn, der ehemalige Bürgermeister sitzt in einem seiner beiden Hotels, er trägt T- Shirt und Bermuda-Shorts, die mittellangen Haare zurückgekämmt, breites Gesicht und ebensolches Lächeln, die Stimme tief von der Zigarre, die er wahrscheinlich nur zum Schlafengehen ausdrückt, ißt zu gern oder bewegt sich zuwenig, man sieht es, aber im Herzen ist der Eifer noch da, mit dem er einst für die Schildkröten kämpfte.
    Betonplatten zwischen zweistöckigen Containerreihen, die Zimmer mit sechs doppelstöckigen Betten so voll, daß kaum Platz zum Stehen ist, überhaupt die Enge im Männerbereich, obwohl es auf dem Meer seit Tagen stürmt und daher nicht einmal alle Liegen belegt sind. Das ganze Lager für offiziell siebenhundert Flüchtlinge ist keine sechzig Meter breit, keine zweihundert Meter lang, schätzt der Berichterstatter, eine Bevölkerungsdichte wie in keinem japanischen Hochhaus. Auf jedem Quadratmeter manifestiert sich das Bemühen der Behörden, die Linie zu halten, auf der man ihnen weder vorwerfen kann, die Flüchtlinge unmenschlich zu behandeln noch sie zu verwöhnen. Als Matratzen dienen grobgeschnittene Schaumstoffbahnen, wie man sie auf dem Bau als Isoliermaterial verwendet, das Bettzeug aus Papier, alles Geschirr Einweg aus Plastik. Im Männerbereich steht ein stummer Pulk vor dem Tor, ohne daß jemand dem Berichterstatter erklären kann, worauf die Männer warten. Stumm sind sie überhaupt alle, die Langeweile mit Händen zu greifen, dazu die Spannungen untereinander unvermeidlich. Die Frauen haben allerdings auch viel mehr Platz und sogar ein paar Bäume, die Schatten spenden, haben Stühle und drei Spielgeräte aus buntem Plastik für Kinder. Die Männer hingegen, hier die Zentralafrikaner, dort die Araber, in der Ecke die Ostafrikaner, hier und dort ein paar Tamilen, Nepalesen und Ostasiaten, sitzen auf dem Boden oder liegen auf den Schaumstoffrechtecken, die sie sich aus den Zimmern geholt haben. Hinter dem Container des Sanitätsdienstes sind weitere Matratzen übereinandergeworfen, ein ganzer Berg aus dem fleckigen, dunkelgelben Schaumstoff, falls sich das Meer wieder beruhigt. Auf dreißig Quadratmetern haben sich acht naßgeschwitzte Fußballer ein Spielfeld erobert, vier Plastikflaschen die Tore. Das Spiel trägt zur Gelöstheit der Stimmung bei, sagt der junge Direktor, der sich ständig die langen Haare von der großen Sonnenbrille streicht, das Hemd vier Knöpfe offen, Jeans mit breitem Designergürtel, spitze Lederschuhe. Seine Firma hat die Ausschreibung gewonnen, nachdem das alte Lager geschlossen werden mußte. Ein als Flüchtling getarnter Reporter war eine Woche ausgehungert und mißhandelt worden, sein Bericht zum Europäischen Parlament durchgedrungen. Daß jemand geschlagen wird, kommt nicht mehr vor, bestätigt auch die Frau vom Flüchtlingswerk der Vereinten Nationen, die seitdem im Lager arbeiten darf. Sosehr der Direktor bemüht ist, mit seiner Begeisterung anzustecken, denkt der Berichterstatter bei jedem Programmpunkt: O Gott,

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