Dein Name
gemacht ist.« Worin Jean Paul dem Berichterstatter ein Vorbild ist, von dem er nichts ahnte, als er den Roman begann, den ich schreibe: ihm wird die erzählte Zeit tatsächlich zur Mimesis der realen. In Romanen weià der Romanschreiber immer mehr als der Leser. Er kennt das Ende schon, wenigstens prinzipiell. Vielleicht hat er sich noch kein Ende überlegt, aber er allein übersieht die Möglichkeiten, die eine nächste Seite bietet. Anders als im Leben sind sie nicht unendlich. Jean Paul gelingt es, den Vorteil auszugleichen, den die Wirklichkeit immer vor dem Roman haben wird, und die Unendlichkeit nachzuahmen, weil in seinen Büchern alles möglich ist, er aber keine der künftigen Möglichkeiten voraussagen kann, darin auch er ein Berichterstatter nur. Er selbst freut sich in der Unsichtbaren Loge , »daà ich jetzt niemals mehr weiÃ, als ich eben berichte: anstatt daà ich bisher immer mehr wuÃte und mir den biographischen Genuà der freudigsten Szenen durch die Kenntnis der traurigen Zukunft versalze. So aber könntâ in der nächsten Viertelstunde uns alle das Weltmeer ersäufen: in der jetzigen lächelten wir in dasselbe hinein.« Im Hesperus bekommt der Romanschreiber, den Jean Paul wieder Jean Paul nennt, die einzelnen Kapitel in regelmäÃigen Abständen durch einen Hund geliefert: Er kann nur vermuten, was die nächste Post bringt, und gibt zum Ende mancher Kapitel selbst Tips ab, wie der Roman weitergeht, den er schreibt. Nicht weil er mehr, sondern weil er genausowenig weià wie der Leser, ist ausgerechnet Jean Paul, der Leben auf Alltag reduziert, was andere Dichter seiner und späterer Epochen nur behaupten: ein Gott. »Ob es gleich schon eilf Uhr nachts ist: so muà ich dem Leser doch etwas Melancholisch-Schönes melden, das eben vorüberzog«, heiÃt es einmal in der Unsichtbaren Loge , und dann folgt ein Einschub, der mit dem Buch einmal mehr nichts zu tun hat, aber dann doch, weil den Romanschreiber plötzlich eine so traurige Anwandlung überkommt, daà er für sich und die Leser nichts Nötigeres sieht, »als jetzt einen neuen Freuden-Sektor anzuheben, damit wir unser altes Leben fortsetzen«. Was dann tatsächlich folgt, ist ein abruptes Ende, dem das Leben des vergnügten Schulmeisterlein Maria Wutz in Auenthal nachgestellt ist, dramaturgisch gerechtfertigt nur durch die fadenscheinige Behauptung, gerade jetzt dringend den Vater einer Nebenfigur vorstellen zu müssen. So willkürlich ist nur der Schöpfer, dem sich das Sein verdankt. Hölderlin starrt in den Himmel. Um auf die Erde zu blicken, muà man im Himmel sein. »In dieser Minute aber kommen mir die Menschen wie die Krebse vor, die die Pfaffen sonst mit Windlichtern besetzet auf den Kirchhöfen kriechen lieÃen und sie für verstorbne Seelen ausgaben; so kriechen wir mit unsern Windlichtern von Seelen mit den Larven Unsterblicher über die Gräber hinüber. â Sie löschen vielleicht einmal aus.« 1:46 Uhr: Wie aus dem Nichts setzen Sturm und starker Regen ein. Sind auch diese Nacht Flüchtlinge auf dem Meer, dürftâ es sie in der nächsten Viertelstunde alle ersäufen, nur daà sie gewià nicht in dasselbe hineinlächeln. Der Berichterstatter kann nicht mehr schlafen, er würde hier auch niemals Urlaub machen wollen, merkt er, könnte nicht einmal das herrliche Meer genieÃen, er merkt, daà er dem Meer böse ist, regelrecht böse, diesem herrlich aussehenden und heimtückischen, diesem verlockenden und mörderischen Weltmeer, das sich auch morgen wieder spöttisch, minimal angeekelt, wie zum Hohn mitleidig kräuselt. Der Bürgermeister hat recht, die Insel ist geschlagen mit den Flüchtlingen. Die Bewohner können nichts dafür, es ist nur die Lage, durch die unmenschlich wird, was auf dem Festland nicht menschlicher ist: die Augen zu schlieÃen. Die Archivmappe schätzt, daà auf drei Flüchtlinge, die Europas Küsten erreichen, ein Ertrunkener kommt. Selbst der AuÃenminister, der nicht darin den Notstand sieht, geht von mehreren Tausenden Opfern pro Jahr aus. Vielleicht nicht die Urlauber, die am Strand die Sonne blendet, aber wer hier wohnt, der Berichterstatter ist sicher, denkt bei jedem Unwetter an sie. Sollen doch die Kirchen sie aufnehmen, schimpft der Bürgermeister, wenn ihr Schicksal dem Vatikan so sehr am Herzen liegt, die Kirchen und
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