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was für ein Elend. Sie stehen in der Kantine, die mit vier Tischreihen viel zu klein ist, als daà hier jemand sitzen könnte, also werden die Tische nur zur Essensausgabe benutzt und die Speisen statt dessen drauÃen auf den Betonplatten gegessen, alles sauber, der Menüplan ausgewogen, selbst an die Vitamine gedacht, Primi, Secondi, Dolce, jubelt der Direktor und läÃt wie ein Zirkuszauberer das FlieÃband zwischen den Tischreihen starten, mit dem die Plastikfolie auf die Teller geschweiÃt wird: Möchten Sie probieren? â Lieber nicht, stammelt der Berichterstatter und denkt zugleich, daà die wenigsten Flüchtlinge drei Mahlzeiten am Tag hatten, bevor sie übers Meer gezogen sind. Im Vergleich zu den libyschen Lagern ist das hier ein Urlaubsresort, wie die Zentralafrikaner zu berichten wissen, auch im Vergleich zu den Camps der Illegalen und Roma an der Peripherie Roms, die der Berichterstatter mit dem Fahrrad erkundete. Die sind Dritte Welt, Slums mit allem, was dazugehört, Sperrholzwände und Wellblechdächer, kein Wasser, keine Kanalisation, Morast, sobald es regnet. Lampedusa dagegen ist eindeutig EU -Verordnung. Eine armseligere Erfüllung kann sich nicht einmal Gott ausdenken. Ein, zwei Tage schlafen sie nur, sagt die Frau vom Flüchtlingswerk der Vereinten Nationen. Wo sie sich eigentlich befinden, registrieren sie erst danach. Selbst nach zwei Wochen überwiegt bei fast allen die Erleichterung. Nur ein Araber beschwert sich, daà es immer nur Pasta gibt, jeden Tag Pasta, er kann es nicht mehr sehen.
Nein, Lampedusa bietet keine Skandale mehr. Eher ist es ein Schaufenster geworden, in dem Europa Berichterstattern und Parlamentskommissionen seine Menschlichkeit demonstriert. Ja, wenn man Menschlichkeit nicht nach den Mindeststandards eines europäischen Gefängnisses definiert, sondern als Sattwerden, Schlafstatt, Kleidung, keine Schläge, keine groben Worte, für den Notfall einen Arzt und sogar eine Psychologin, dann ist das Lager menschlich. Ein Skandal ist, was jenseits des Schaufensters geschieht, also bevor ein Flüchtling Lampedusa überhaupt erreicht. Skandalös scheinen die Lager im Landesinnern zu sein, aber die dürfen nicht einmal die Ãrzte ohne Grenzen betreten, erst recht kein Berichterstatter. Unmenschlich würde jeder Westeuropäer ein Leben in der Illegalität finden, das sich an den Lageraufenthalt meist anschlieÃt, wenn die Behörden kein Asyl bewilligen. Ein Skandal könnten auch die Einsätze der FRONTEX -Agentur sein, die Europa gegründet hat, um die Flüchtlingsboote weit vor dem eigenen Hoheitsgewässer abzufangen. Ohne zu prüfen, ob sich an Deck Menschen befinden, die ein Anrecht auf Asyl haben, zwingt die Agentur die Boote zur Rückkehr in die afrikanischen Herkunftshäfen. Einem deutschen Fernsehjournalisten sprach der italienische Einsatzleiter ins Mikrophon, daà er angewiesen sei, an Bord zu gehen und Lebensmittel und Treibstoff zu beschlagnahmen, um die Flüchtlinge an der Weiterfahrt zu hindern. Anderen Aussagen zufolge sollen Soldaten der Agentur Schlauchboote auf offener See zerstört haben, um sie an der Weiterfahrt zu hindern. Genaueres weià man allerdings nicht, da die Agentur keiner Regierung zur Rechenschaft verpflichtet ist. Selbst dem Europäischen Parlament gegenüber verweigert sie Informationen unter Verweis auf den geheimdienstlichen Charakter ihrer Arbeit. »Um die illegale Einwanderung zu bekämpfen, darf man nicht wie Gutmenschen auftreten, sondern muà böse sein«, sagt es hinreichend offen der Innenminister des Landes, in dem der Humanismus geboren wurde.
Abends wieder Marienprozession, diesmal aus dem Dorf heraus auf einen Hügel. Mitten im Gottesdienst wenden sich die Gläubigen plötzlich neunzig Grad nach links und sprechen Maria an, erst im Chor, dann jeder für sich, zwei, drei Minuten mit solcher Inbrunst, als stehe dort nicht ein Bild, sondern die Jungfrau selbst. Weil der Bürgermeister die Gemeinde um einen Kopf überragt, sieht der Berichterstatter ihn während der Messe ständig in den Kinnbart gähnen. Nach zwei Stunden steifem Gang und einer Messe, die sich so lang hinzieht, daà die Hälfte der Gläubigen den Rückweg vor der Kommunion antritt, ist er müde, das kann man verstehen, und jetzt wird der Arme auch noch dem tausendsten Journalisten erklären müssen, daà er nichts gegen
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