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Dein Name

Titel: Dein Name Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Navid Kermani
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ungehindert, austausch ist unfreude.das so ernstlich und bewußt einen weg machen der vielleicht abschied heißt – kann hell u schön sein.ich lerne« »Sent: 16-Oct-2008 17:28:44 Linked: 2 / 2 viel u möchte wachsen --wo ich weine,ist es die wunden schließen.navid,ich bin dir dankbar das du mich nicht vergißt.grüße deine familie.« Ich kann mir das so gut vorstellen: Muß die Fünfzig bereits überschritten und eine Etappe erreicht haben, in der die Tage in ruhigeren Bahnen verliefen, freilich das Ausscheiden aus dem Beruf und damit die letzte Wegstrecke in Sichtweite rückte. Wie andere auch in diesem Alter wird er sich gefragt haben, ob es das also gewesen war: das Leben. Nein, noch nicht. »Was die Atmosphäre in unserem Haus schlagartig veränderte, war der Ruf Mossadeghs«, schreibt die Mutter. Endlich bin ich dort angelangt, wo sich die beiden Selberlebensbeschreibungen kreuzen. »Sent: 16-Oct-2008 17:50:53 Lieber Navid,-hier geben ich dir einmal ganz ins vertrauen,– diese telefonnummer,die bitte sonst niemand haben soll,meiner älteren schwester –die sehr bei mir ist …für den fall,das ich einmal nicht in der zeit antworte.diese nummer nur bitte gut schützen ja«
    Obwohl mit einem Glückwunsch eingeleitet, hat den jüngeren Kollegen eine Kritik selten so getroffen: Alles gut, alles möglich, ich beglückwünsche Sie, allein, die Sprache stimmt nicht. Der berühmte Schriftsteller gebraucht am 17. Oktober 2008 um 20:38 Uhr ein härteres Wort, das der Romanschreiber sofort vergessen will, und bietet am Gartentisch der Deutschen Akademie sogar an, zwanzig, dreißig Seiten umzuschreiben, um das Potential des Romans aufzuzeigen, den ich schreibe. Nein, das möchte ich nicht, erklärt der jüngere Kollege tapfer, der schon vor ein paar hundert Seiten betonte, daß die Unmittelbarkeit notwendig eine Behauptung und damit als solche erkennbar sein muß. – Soll es etwa Kunst werden? fragt er statt dessen bockig. – Es muß, sagt der berühmte Schriftsteller. Er hat weitere, durchaus grundsätzliche Einwände, der jüngere Kollege weiß gar nicht, warum er sie so gelassen hinnimmt, Schockstarre wahrscheinlich, die Photos zum Beispiel müßten unbedingt gelöscht werden, und der berühmte Schriftsteller rät dringend, den Physiognomien der Verstorbenen Beachtung zu schenken, dieser Kernaufgabe eines Schriftstellers könne sich der jüngere Kollege nicht im Ernst durch Abbildungen entziehen. Selbst bei Sebald seien die Photos trotz ihrer Unschärfe letztlich illustrativ, aber In Frieden völlig unmöglich (wenigstens der Titel gefällt ihm). Und dann sei der jüngere Kollege zu freundlich zu den Verstorbenen, die Gedenkstücke läsen sich wie Nachrufe, die auch in einem Feuilleton stehen könnten; was habe er mit seiner Genauigkeit und damit Gemeinheit angestellt, den Grundvoraussetzungen jedweder künstlerischen Menschenbetrachtung, wie vielleicht an keinem anderen Ort besser zu studieren als in Rom? Der Tod zeichne weich, rechtfertigt sich der jüngere Kollege und besteht auf der Verklärung, weil sie ein objektives Moment sei. Allerdings könnte er das Gedenken an anderer Stelle oder bereits im nächsten Absatz, wenn er den Schrifttyp gewechselt hat, kommentieren und um die Beobachtungen, Mäkeleien, Schuldzuweisungen und Aversionen ergänzen, die der berühmte Schriftsteller zu Recht einfordert. – Gut, sagt der berühmte Schriftsteller, das leuchtet mir ein, und führt die Idee im Selbstgespräch weiter, während der jüngere Kollege sie stillschweigend bereits wieder verwirft: Es ist keine Kunst, sondern bleibt im Kern Ehrung der Toten, die er nicht relativieren darf, indem er wie auf einer Theaterbühne beiseitespricht. Zu den Märtyrern war nicht einmal Caravaggio gemein. – Aber Ihre Toten sind doch keine Märtyrer, schüttelt der berühmte Schriftsteller den Kopf. – Er quält sie mit der Vernichtung, nachdem Er sie zuvor erschaffen hat, wiederholt der jüngere Kollege, um auf das allgemeine Moment des Martyriums hinzuweisen, das dem Spezifischen und Außergewöhnlichen der Heiligen nichts nimmt. Aber wo ist es hin, das Spezifische und Außergewöhnliche der Menschen, von denen er Zeugnis ablegt? fragt nicht etwa der berühmte Schriftsteller, der vielleicht das Entsetzen im Gesicht des jüngeren

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