Dein Name
von der dritten zurück in die erste Person wechseln. Es gibt keinen Grund anzunehmen, daà die Alchimie im ersten Versuch gelingt. Geduld, weil noch Zeit ist, sobald Zeit nicht mehr zählt. â Zweieinhalb Jahre, stöhnte er. â Was ist das schon? wies der berühmte Schriftsteller ihn zurecht. Den Satz, den der jüngere Kollege am 18. Oktober 2008 um 0:22 Uhr in der Wäschekammer des Ateliers Nummer zehn schreibt, die Frau hinter der Tür ebenfalls noch am Schreibtisch, ohne zu übersehen, was ihn seit zweieinhalb Jahren beschäftigt, die für ein Buch nichts, aber für eine Ehe durchaus etwas sind, die Töchter schlafen, vielleicht die letzten Tage des Jahres vor weitgeöffneten Fenstern, so daà er auf die Bäume blickt, die Rolf Dieter Brinkmann gezeichnet hat, 0:26 Uhr derweil, genau diesen Satz wird er später in die dritte Person setzen, um ihn zu formen, und falls nötig zurück in die erste Person setzen, um ihn nochmals zu formen, und nochmals und nochmals setzen, um ihn zu formen, bis die Sprache ihm so fremd wird, daà sie sich in seine verwandelt. Er kann ja gar nicht aufhören, fällt ihm ein, weil immer jemand stirbt und etwas nicht zu nichts werden darf. Allenfalls kann er abbrechen, jederzeit könnte er unterbrechen, um an den Anfang zu gehen, wenn es ohnehin kein oder nur ein Ende geben kann, nur wird er um so rücksichtsloser sein, je länger er mit der Rückkehr wartet. 0:31 Uhr, sofern die Uhr stimmen würde. Die ehemalige Freundin von Nummer sechs wird dann tot sein, aber der jüngere Kollege längst im Brotberuf oder ein alter Mann?, die Frühgeborene auf der Schule?, die Ãltere erwachsen? Und die Frau hinter der Tür? 0:57 Uhr. 0:58 Uhr. 0:59 Uhr. Für Gott sind die Höhlenzeichnungen nicht einmal von gestern. Ja, sie hieà Audrey.
In den Büchern, die ich mir besorgt habe, um mehr über die Zeit von GroÃvaters Kandidatur für das Parlament zu erfahren, bin ich auf Doktor Rastegar gestoÃen, dessen Auslandsstudium GroÃvater so viele Nerven kostete. Für mich war er nur einer der vielen Namen, die bei dieser oder jenen Geselligkeit in Isfahan fielen oder vielleicht einmal am Telefon, wenn ich in Siegen abhob. Jetzt sehe ich ihn zusammen mit seinem jüngeren Bruder Morteza in Abbas Milanis zweibändigem Standardwerk Eminent Persians aufgeführt, das die Biographien der hundertfünfzig bedeutendsten Männer und Frauen zwischen 1941 und 1979 erzählt: The Men and Women Who Made Modern Iran . Reza Rastegar studierte nicht in den Vereinigten Staaten, wie die Mutter schreibt, sondern in Europa, wie GroÃvater sich richtig erinnert, und zwar nicht Medizin, wie die Mutter schreibt, sondern Mikrobiologie in Toulouse: »In 1926 he was sent to France on a scholarship from the military school as a cadet of the cavalry. At five in the morning of the day he and his peers were heading for Europe, Reza Shah appeared where the students had congregated, riding a horse. He had charisma, and left an indelible mark on the impressionable mind of the young man from Isfahan.« Die Schwiegermutter von Doktor Rastegar war die Schwester von Sarem od-Douleh, in dessen Haus in Isfahan sich Reza Schah mit Frau und zwei Töchtern nach seiner Absetzung durch die Briten und Russen versteckt hielt. Nach seiner Rückkehr gründete er ein Institut nach dem Vorbild von Louis Pasteur und stellte die ersten iranischen Impfstoffe her. Später erschloà er für den Staat den Eisenabbau und schuf mit seinem Bruder eines der gröÃten Industriekonglomerate des Nahen Ostens, das praktisch ein Monopol auf den iranischen Bergbau hatte. Anders als sein Bruder, der es als Stratege und Abenteurer nie lang am Schreibtisch aushielt und noch seltener in Bilanzbücher blickte, widmete Reza Rastegar â ganz der Mikrobiologie â sich mit Hingabe allen Details, Zahlen und Bilanzen, las sorgfältig jede Seite jedes Unternehmensberichts, studierte die Vor- und Nachteile noch so geringfügig scheinender Investitionen und stellte seinen Mitarbeitern, von den Geschäftsführern bis zu den Sekretärinnen, die kniffligsten Fragen, um zu prüfen, ob sie eine Angelegenheit wirklich durchschauten. Er war ein Organisationsgenie und Workaholic, der nichts auf Luxus gab und sich von den Parties und Empfängen der oberen Zehntausend fernhielt. Da er nicht mit dem Hof in Beziehung gestanden hatte, gehörte er zu
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