Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Dein Name

Titel: Dein Name Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Navid Kermani
Vom Netzwerk:
im früheren Haus der Großeltern lebte, und Zaghols Mutter also tot –, gab ihr das Haushaltsgeld und besprach, welches Essen sie Urgroßmutter kochen, wann sie welche Medikamente reichen sollte. Es war schon fast Abend, wenn Großvater mit meiner Mutter an der einen und meiner Tante an der anderen Hand nach Hause zurückkehrte.
    â€“ Die Mutter weist außer auf die zuckerkranke Urgroßmutter, die taubstumme, unglücklich verheiratete Großtante und den minderjährigen Großonkel auf weitere Sorgen hin, die außerhalb der Bank auf Großvater lasteten: Mein älterer Onkel lernte nicht, hörte nicht, erklärte sich nicht einmal, vergeudete alle Tage mit Freunden in der Stadt, schien nichts von der Welt erfahren zu wollen und keinen Ehrgeiz zu haben, sondern zog den damals schon wuchtigen Schädel ein und verließ wortlos das Haus, sobald Großvater ihn wieder einmal ermahnte. Er war ein großer Junge, mehr als den üblichen Kopf größer als Großvater, kräftig und sehr widerborstig. Mehr als einmal trieb seine Sturheit seinen sonst so bedächtigen Vater zur Weißglut. Als Großvater sich nicht mehr zu helfen wußte, schickte er heimlich die Unterlagen und Zeugnisse meines älteren Onkels an Reza Rastegar, der nach dem Studium in den Vereinigten Staaten geblieben war und als Arzt arbeitete. Was die Mutter gar nicht weiß, wenn sie Großvaters Selberlebensbeschreibung nicht durchgelesen hat, schuldete sein jüngerer, als Stipendiat im Land der Franken so schreibfauler Cousin ihm noch einen Gefallen. Großvater bat Doktor Rastegar, meinem älteren Onkel, der nichts mit sich anzufangen wußte, ein Visum und einen Studienplatz zu besorgen. Er meinte es ernst: Um den Aufenthalt zu finanzieren, verkaufte Großvater ein Grundstück in Hosseinabad; den Scheck, den ihm der Verkauf einbrachte, trug er stets bei sich. Als Doktor Rastegar das nächste Mal seine Schwiegermutter in Isfahan besuchte, die Schwester von Sarem od-Douleh, Gouverneur von Isfahan unter den Kadscharen und Finanzminister unter Reza Schah, präsentierte er Großvater stolz die Zulassung der amerikanischen Universität mitsamt der Aufenthaltsbewilligung. Großvater rief eilig meinen älteren Onkel herbei und wies in der Erwartung, gleich umarmt zu werden, auf die Zulassung, die Aufenthaltsbewilligung und den Scheck, die auf dem Tisch lagen. Es dauerte keine zehn Sekunden, da waren die Schreie meines älteren Onkels im ganzen Haus zu hören: Niemals werde er nach Amerika gehen, er lasse sich nicht abschieben, das Geld solle Großvater sich … und was fällt Ihnen überhaupt ein, Papa, meine Zeugnisse zu stehlen? Nicht nur Großvater hörte die Tirade, die kein Ende nahm, auch sein junger Cousin Doktor Rastegar hörte sie und der Rest der Familie mitsamt der Bediensteten, der sich unterdessen in der Tür versammelt hatte. Großvater begriff nicht, warum sein Sohn so anders sein konnte als er selbst, warum er anders mit ihm sprach als Großvater mit seinem Vater, begriff seine Respektlosigkeit nicht, seinen Trotz und am wenigsten, warum er keinen Fleiß und keine Neugierde an den Tag legte wie Großvater selbst als junger Mann. Großvater begriff die Jugend nicht. Ob er in seiner Ratlosigkeit daran dachte, daß er selbst das Kolleg der Amerikanischen Schule abgebrochen hatte und danach in Isfahan herumgelungert war, wo Urgroßvater sich dieselben Sorgen gemacht? Eher wird er wie die meisten Menschen vergessen haben, wie wenig geradlinig auch das eigene Leben verlief, um in der Rückschau einen Weg erkennen zu können. Er wird sich vor Doktor Rastegar geschämt haben, dessen Bemühungen für die Katz waren, vor der gesamten Familie und dem Personal, daß er von seinem eigenen Sohn angeschrien wurde. Als mein älterer Onkel aus dem Haus stürmte, ohne sich zu verabschieden, konnte Großvater nicht mehr an sich halten. Ohne weitere Worte, ohne sich von Doktor Rastegar zu verabschieden, damit gegen alle Konvention, schob er sich durch den Pulk in der Tür und verließ ebenfalls den Raum. Durchs offene Fenster sah meine Mutter, wie er den Hof auf und ab schritt, dabei fortwährend den Kopf schüttelte und ein ums andere Mal Astaghfirollâh rief, Astaghfirollâh : »Gott steh mir bei und vergib mir meine Sünden«. Großmutter pendelte zwischen Wohnzimmer und Hof, um abwechselnd Großvater zu

Weitere Kostenlose Bücher