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Dein Name

Titel: Dein Name Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Navid Kermani
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schließlich bedankte er sich im Namen Gottes des Erbarmers des Barmherzigen bei Herrn Schirani für die offenen Worte, die er leider von keinem anderen der ehrenwerten Bürger Isfahans vernommen habe. Bevor er sich wieder und endgültig setzte, zitierte Großvater drei Verse seines gepriesenen Scheichs Saadi: »Zuwider ist mir ganz der Freunde Umgang, die mir mein Schlechtes stets als Gutes zeigen, / Im Fehler nur Verdienst und Vorzug sehen, den Dorn als Jasmin und Rose zeigen. / Weit lieber unverschämte freche Feinde, die mir ganz offen meine Fehler zeigen!«
    Großvater reiste nach Kerman, achthundert Kilometer auf Schotterpisten, um sich mit Mozaffar Baghaí zu besprechen, den Vorsitzenden der »Werktätigen«, der aus Wut über die Iran-Partei die Hauptstadt verlassen hatte. Über den Inhalt der Gespräche, die sich über Tage hinzogen, will Großvater nichts verraten, da sie vertraulich gewesen seien und es damit dreißig Jahre später für ihn noch sind. Statt dessen preist er ausführlich die Gastfreundschaft eines Herrn Ardjomand, bei dem Baghaí seine Gäste unterzubringen pflegte. Wie in einem Hotel habe er in Kerman gewohnt, nur kostenlos, bei bestem Essen und zuvorkommender Bedienung, die Möbel nagelneu, die Matratze vorzüglich und die Pantoffel original aus Isfahan. Das Trinkgeld, das er am Abend vor seiner Rückkehr verteilen wollte, lehnten die Diener mit solcher Empörung ab, als hätte er ihnen Gift angeboten, wundert sich Großvater noch dreißig Jahre später. Da er noch vor dem Morgengebet abreiste, stand das Personal eigens für ihn auf, um ein Frühstück zu bereiten, und der Fahrer, den er gegen Mittag bat, ein Teehaus anzusteuern, um etwas zu essen, holte einen großen Korb übervoll mit Leckereien hervor. Über Mozaffar Baghaí, eine der Schlüsselgestalten der neueren iranischen Geschichte, mit dem er mehrere Tage verbrachte, erfährt man – ach, ich müßte es gar nicht mehr aussprechen: erfährt man nichts. Warum, Großvater? Wie wollten Sie denn die allgemeine Leserschaft erreichen, wenn Sie genau das ausblenden, was die Allgemeinheit interessieren könnte. Bis zu seinem Tod im Jahr 1987 hat Mozaffar Baghaí, soweit ich es übersehe, keine plausible Erklärung abgegeben, warum er sich von Doktor Mossadegh abgewandt und was genau er zunächst mit dem gescheiterten, dann mit dem erfolgreichen Putsch zu tun hatte. Er stritt nur allgemein ab, in Mord- und Entführungspläne eingeweiht gewesen zu sein. Was war das für ein Mensch? Ist es wirklich nur mit persönlichem Ehrgeiz oder Bestechlichkeit zu erklären, daß sich einer der fähigsten, einflußreichsten und populärsten Politiker seiner Zeit im Alter von nur einundvierzig Jahren von seinen Freunden, Partnern und Lehrern lossagte und freiwillig eine der zwielichtigsten Rollen annahm, die die iranischen Geschichtsbücher ausweisen? Zum Premierminister, wie er es wohl erhoffte, hat er es nach dem Sturz Mossadeghs nicht gebracht, im Gegenteil: Nicht lange nach der Rückkehr des Schahs wurde Baghaí wieder zum Oppositionellen, den der SAVAK beschattete und seine ehemaligen Gefährten der Nationalen Front so argwöhnisch beäugten, daß er sich notgedrungen darauf beschränkte, hier und dort kritische Artikel in Umlauf zu bringen. Das Amt des Premierministers, für das er sich prädestiniert hielt, bot ihm der Schah erst im Dezember 1978 an. »Ich akzeptiere es, wenn er meine Bedingungen akzeptiert«, ließ Baghaí den Schah wissen. »Wie hoch sind denn die Chancen auf Erfolg, falls Seine Majestät die Bedingungen akzeptiert?«, wollte der Emissär wissen. »Zehn Prozent, daß Seine Majestät bleibt. Zwanzig Prozent, daß die Monarchie bleibt. Siebzig Prozent, daß Chomeini siegt.« Der Emissär überbrachte die Antwort dem Schah, der mit den Bedingungen einverstanden, mit der Prognose jedoch unzufrieden war. Ob man nichts tun könne, damit die Zahlen günstiger ausfielen, fragte der Emissär, als er zu Baghaí zurückkehrte. »Inzwischen liegen die Chancen Seiner Majestät bei null Prozent«, antwortete Baghaí. Nach der Revolution glaubte er zum letzten Mal, Premierminister werden zu können, und richtete Ajatollah Chomeini aus, das Amt anzunehmen, falls dieser die Revolutionskomitees und die Revolutionsgarden auflöse. Natürlich dachte

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