Dein Name
Billardtafel in den Leichensack hinunter, und es klingelt mit der Totenglocke, wenn einer von uns gemacht wird. Du lebst zwar in einem gewissen Sinne noch fort â wenn anders das Freskogemälde aus Ideen ohne Schaden von dem zerfallenden Körper-Gemäuer abzunehmen ist â, o es möge dir da in deinem Postskript-Leben besser ergehen â Was ists aber? Es wird auch aus jedes Leben, auf jeder Weltkugel, brennet einmal aus â die Planeten alle haben nur Kruggerechtigkeit und können niemand beherbergen, sondern schenken uns einmal ein, Quittenwein Johannisbeersaft â gebrannte Wasser â meistens aber Gurgelwasser von Labewein, das man nicht hinunterbringt, Schlaftränke und Beizen â dann ziehet man weiter, von einer Planeten-Schenke in die andere, und reiset so aus einem Jahrtausend ins andere â o du guter Gott, wohin denn, wohin, wohin? â Inzwischen war doch die Erde der elendeste Krug, wo meistens Bettelgesindel, Spitzbuben und Deserteure einkehren, und wo man die besten Freuden nur fünf Schritte davon, entweder im Gedächtnis oder in der Phantasie genieÃen kann, und wo man, wenn man diese Rosen wie andere anbeiÃet, statt anzuriechen und statt des Dufts das Blättermus verschluckt, wo man nichts davon hat als sedes ⦠O es gehe dir, du Ruhiger, in andern Tavernen besser, als es dir gegangen ist, und irgendein Restaurateur des Lebens mache dir ein Weinhaus auf statt des vorigen Weinessighauses!« In der Urschrift des Romans, den ich schreibe, fügte ich an dieser Stelle hinzu, daà sich der Romanschreiber nur dort den Pragmatismus erlaube zu sagen: Ich, wo es auf das Ich nicht mehr oder noch nicht wieder ankomme. Wenn jemand stirbt, sage er Ich. Und wenn er liest oder allgemeiner formuliert: sich in einem ästhetischen oder religiösen Erleben verliert, also auch in einem Konzert oder vor einem Gemälde, in einer Kirche oder im stillen Gebet, sage er ebenfalls Ich. Das war nicht ganz richtig, merke ich, da der Romanschreiber eine lesbare Fassung erstellt, genau gesagt ist nur der zweite Satz richtig. Im ästhetischen oder religiösen Erleben mag der Romanschreiber den Eindruck haben, daà alles zurücktritt, was sein irdisches Leben ausmacht, Liebe, Dankbarkeit, Schmerz, Treue, Respekt, Wissen, Begeisterung, Blindheit, Aufregung, Mitgefühl, Erschöpfung, Wohlgefallen, Arbeit. Anders ist es, wenn jemand stirbt. Um eines Toten zu gedenken, ist er auf sich selbst zurückgeworfen mit allem, was sein irdisches Leben ausmacht. Aus Sicht Gottes ist der Tod das Allgemeinste: Alle sterben. Aus Sicht des Menschen sind wir nirgends so sehr Individuum wie im Augenblick des Todes: Ein Ich stirbt. Ein Du stirbt. Der Roman, den ich schreibe, beharrt auf der Sicht des Menschen. Wo der Romanschreiber nicht nur über den Tod, sondern über die Toten spricht, deren unabsehbare Abfolge eine Selberlebensbeschreibung ergibt, kann er deshalb immer nur über einen Toten sprechen, mit Namen und allen seinen Daten, und nur in erster Person. »Wie einfältig ists auf der einen Seite, alle die nennen zu wollen, vor denen mein zugeknöpftes Geschirre kann vorbeigegangen sein, da ich ja die Namen des ganzen AdreÃkalenders und alle Kirchenbücher hersetzen könnte â und wie schwer auf der andern, gerade wenn 1000 Millionen Menschen sich vor der Feder hinaus- und hinuntenstellen, auf einige das Schnupftuch zu werfen.«
Um sich den Tod begreiflich zu machen, in die letzte Stunde des Einsamen hineinzusehen, schildert Jean Paul den Vorgang des Sterbens häufiger und realistischer als je ein deutscher Dichter, von Amandus qualvollem über Wuzens leichtem bis Schoppes trostlosem Sterben wohl Dutzende Sterbeszenen allein in den sechs Bänden meiner Dünndruckausgabe, wieviel mehr in der schrankfüllenden Gesamtausgabe, die â nicht einmal sie â dennoch nicht vollständig ist, und dem NachlaÃ, der gedruckt weitere vierzigtausend Seiten ergäbe. Und immer die Frage: »Wie kann der Mensch um das innerste Wesen des Todes wissen?« Wie der embedded journalist einer unterlegenen Armee kriecht Jean Paul sogar in den Sterbenden hinein, um die Vernichtung als Erlebender zu beschreiben, so auf dem Krankenbett des Dichters im Komet , sobeim Scheintod Siebenkäsens und seinem lebendigen Begräbnis, so in der Rede des toten Christus und dem Erschrecken des Engels, der die Gestalt eines Menschen annimmt, um den
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