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Dein Name

Titel: Dein Name Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Navid Kermani
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aber auch beklagen, daß seine Unfähigkeit oder sein Unwille, den Ehrgeiz und die Eitelkeit, die Interessen und Zwänge seiner Partner, Gegner und der ausländischen Staaten auch nur ins Kalkül ziehen, das Land um die größte Chance auf Freiheit brachte, die es jemals hatte und seither haben sollte. Ich begreife gut, warum Großvater außer den Propheten und Imamen niemanden verehrt hat wie ihn, verehrt mit und auch wegen seiner unübersehbaren, nicht zuletzt körperlichen Schwächen, verehrt eben in seiner Menschlichkeit. Als jemand, der sich seiner eigenen Mängel quälend bewußt war und allzu schnell resignierte, mußte er den alten Herrn bewundern, der noch in Pyjamahose wie ein Löwe kämpfte, noch im Untergang ein Fels blieb.
    Der stellvertretende Filialleiter der Nationalbank in Isfahan hält den Premierminister nicht damit auf, sich vorzustellen, erwähnt deshalb nicht, daß er einmal Kandidat der Nationalen Front fürs Parlament werden sollte, sagt außer der Begrüßung und den rituellen Fragen und Antworten rund ums Befinden nur, daß sein Name Schafizadeh sei, er aus Isfahan komme und einen Stock mitgebracht habe, den ein wandernder Derwisch dem Herrn Premierminister schenken möchte. Der stellvertretende Filialleiter steht vor dem Bett und hält Mossadegh mit ausgestreckten Händen den Stock hin, zwei alte Männer, beide fast kahl auf den Häuptern, an den Seiten die wenigen, kurzgeschnittenen Haare grau, der stellvertretende Filialleiter mit seinen sechzig Jahren, die sich seit neuestem wie neunzig anfühlen und dem bäuerlich anmutenden Stoppelbart, Mossadegh bereits über siebzigjährig, im Gegensatz zum stellvertretenden Filialleiter hochgewachsen, hager und selbst im Pyjama distinguiert, das Gesicht nicht rund wie ein Fußball, sondern langgezogen mit Wangenknochen gleich Steilwänden, die Nase nicht knollig, sondern wie ein Segel gebogen, den Kopf wie immer gerade so weit nach vorne gebeugt, daß man nicht weiß, ob es Demut ist oder er einfach nur schlecht hört. Nein, jetzt beugt er den Kopf, um den Stock zu betrachten, sprachlos. Nach einiger Zeit blickt er zum stellvertretenden Filialleiter hoch und will etwas sagen, überlegt, und läßt es dann doch. Wieder vergeht Zeit, in der Mossadegh abwechselnd den Stock und den stellvertretenden Filialleiter anschaut. Als der stellvertretende Filialleiter die Tränen in den Augen des Premierministers sieht, kann er … »Und was soll ich es Ihnen verbergen? Obwohl es mein eigener Wunsch gewesen war, nach Teheran zu reisen, und ich Zeit genug hatte, mich auf die Begegnung vorzubereiten, konnte ich nicht mehr an mich halten. Ich heulte vor dem Bett Doktor Mossadeghs wie ein kleiner Junge.« Schließlich weist Mossadegh mit der Handfläche auf das Bett und bittet den stellvertretenden Filialleiter stumm, sich neben ihn zu setzen. Er wisse nicht, wie er die Freundlichkeit dieses Derwischs vergelten könne, sagt der Premierminister, nur das wisse er, daß er ihm auch etwas schenken möchte. Was der stellvertretende Filialleiter glaube, worüber der Derwisch sich freuen würde? Der stellvertretende Filialleiter erklärt, daß ein Mann wie der Derwisch keine materiellen Bedürfnisse habe. Auch sei er nicht an Gesprächen interessiert oder an einem Buch. Er, der stellvertretende Filialleiter, würde daher meinen, daß der Derwisch überhaupt nichts vom Herrn Premierminister erwarte, nur glücklich sein werde über die Nachricht, daß das Geschenk seinen Empfänger erreicht habe. Wenn überhaupt, könne der Herr Premierminister vielleicht ein Photo von sich signieren, ja, damit würde er dem Derwisch eine Freude bereiten, und der Herr Premierminister könne lebenslanger Gebete gewiß sein. Ein Photo, das sei doch nichts, erwidert Mossadegh, das signiere er sofort. Er möchte ihm noch etwas anderes schicken, etwas, womit der Derwisch nicht rechnet, vielleicht etwas Praktisches für dessen Wanderungen. Der stellvertretende Filialleiter, der steif wie der Stock auf der Bettkante des Premierministers sitzt, denkt nach. Einen Mantel, sagt der stellvertretende Filialleiter schließlich, ja einen Wintermantel, den könne der Derwisch wahrscheinlich gebrauchen. Der Winter sei wieder einmal mörderisch und der Flickenrock des Derwischs voller Löcher. – Ein wunderbarer Vorschlag! lobt Mossadegh und ruft seinen

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