Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Dein Name

Titel: Dein Name Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Navid Kermani
Vom Netzwerk:
Diener ins Zimmer: Dieser möge sofort auf den Basar gehen und den weichsten und wärmsten Mantel kaufen, so einen beinah knöchellangen, braunen Wintermantel, wie er, Mossadegh, ihn selbst trage – nur in besserer Qualität. Den Mantel schicke der Diener diesem ehrenwerten Herrn aus Isfahan, dessen Adresse er sich bitte notiere. Noch am selben Tag erhält der stellvertretende Filialleiter das Geschenk für den Derwisch, einen wahrhaft königlichen Mantel aus Schurwolle und Kaschmir, den er sich selbst nie leisten würde, dazu ein gerahmtes Photo des Herrn Premierministers mit persönlicher Widmung. Daß er gar nicht weiß, wo er den Derwisch in Isfahan treffen könnte, um das Geschenk zu überreichen, hat er sich während der Audienz nicht zu sagen getraut. Er wird ihn noch am Tag seiner Ankunft zufällig auf der Straße treffen.
    Wenig später belagerte die Armee das Haus des Premierministers in der Kach-Straße. Der Radiosender war besetzt, in den Straßen standen Panzer, dennoch hätte Mossadegh Wege finden können, das Volk zu rufen. Wie so oft, wären Zehntausende, Hunderttausende auf die Straßen geströmt und hätten die zusammengewürfelte Menge aus dem Süden Teherans davongejagt, die nicht ihre eigene Sache vertrat. Er tat es nicht, er hatte sich ergeben. Manche der Bücher auf meinem Schreibtisch in der Wäschekammer meinen, Mossadegh hätte ein Blutvergießen vermeiden wollen. Großvater hingegen stellte ihn in die Tradition der schiitischen Märtyrer, die den Untergang als ihr Schicksal annehmen. »So schlecht ist alles gelaufen, so schlecht!« seufzte einer der Minister, als sich das Kabinett im Keller eines Nachbarhauses versteckt hielt. »Und doch ist es so gut – wirklich gut«, erwiderte Mohammad Mossadegh. »So sollte also Empedokles ein Opfer seiner Zeit werden«, um es einmal auch mit dem gepriesenen Hölderlin zu sagen, »die Probleme des Schiksaals in dem er erwuchs, sollten in ihm sich scheinbar lösen, und die Lösung sollte sich als eine scheinbare temporäre zeigen, wie mehr oder weniger bei allen tragischen Personen, die alle in ihren Karakteren und Äußerungen mehr oder weniger Versuche sind, die Probleme des Schiksaals zu lösen, und alle sich insofern u. in dem Grade aufheben, in welchem sie nicht allgemein gültig sind, wenn nicht anders ihre Rolle, ihr Karakter und seine Äußerungen sich von selbst als etwas vorübergehendes und augenblikliches darstellen, so daß also derjenige, der scheinbar das Schicksaal am vollständigsten löst, auch sich am meisten in seiner Vergänglichkeit und im Fort-schritte seiner Versuche am auffallendsten als Opfer darstellt.« Doktor Mossadegh wurde vor Gericht gestellt, wo er sich und die Demokratie mit der Genauigkeit eines Juristen und der Redegewalt eines erfahrenen Parlamentariers verteidigte. Wenn er saß: alt und über die Balustrade seines Angeklagtenplatzes gebeugt. Wenn er seine Stimme erhob: immer noch ein fauchender, mit dem Zeigefinger und bestechenden Argumenten um sich schlagender Löwe. Er weigerte sich, den Schah um Begnadigung zu bitten, wie es ihm mehrfach nahegelegt wurde, und ebenso, sich wenigstens zur Ruhe zu setzen für den Fall eines Freispruchs. Er bestand darauf, recht zu haben, auch wenn er nicht recht bekam, und wurde zu drei Jahren Gefängnis verurteilt mit anschließendem Arrest auf seinem Landsitz Ahmadabad, etwa hundert Kilometer nordöstlich von Teheran. Von Zeit zu Zeit sahen die Iraner Photos von dem Mann, der einmal ihr Führer gewesen war, wie er immer schwächer, aber ungebrochen auf seinem Bett saß oder mühevoll, auf einen Stock (!) gestützt durch den Hof seines Landguts ging. In dem Jahr, in dem ich geboren wurde, starb er fünfundachtzigjährig an genau der Krankheit, einem Magengeschwür, die er seit seiner Schweizer Studienzeit regelmäßig in der Öffentlichkeit selbst diagnostiziert hatte. Der Schah verbot ein öffentliches Begräbnis, obwohl selbst sein eigener Premierminister darum bat, wenigstens eine bescheidene Trauerfeier zu erlauben. »Er sagt, daß er in seinem Land jede Spur von Mossadegh tilgen will«, meldete die amerikanische Botschaft nach Washington, wie aus Archiven des State Departement hervorgeht, die bis nach China verstreut sind. »Tyrann, der sich vom Blut der Untertanen nährt«, zitiert Großvater in seiner

Weitere Kostenlose Bücher