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Dein Name

Titel: Dein Name Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Navid Kermani
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Selberlebensbeschreibung wieder den gepriesenen Saadi: »Wie lange glaubst du denn, daß dieses Treiben währt? / Was hilft es dir, daß du die ganze Welt erwirbst? / Statt Menschen zu quälen, ist es besser, daß du stirbst.« Keinen Monat nach dem Sturz des Schahs, am 5. März 1979, reisten den Eminent Persians zufolge etwa zwei Millionen Menschen in Bussen, Autos, Lastern und viele zu Fuß nach Ahmadabad, um zum ersten Mal den Todestag Mossadeghs zu begehen. Großvater wird auf den Photos nachgeschaut haben, auf welchen Stock sich Doktor Mossadegh stützte. Den versprochenen Segen hat das Geschenk des Derwischs nicht gebracht.
    Hölderlin sucht mit seiner Dichtung immer das Allgemeine in Situationen, Vorgängen und Empfindungen, die Menschen zu jeder Zeit, an jedem Ort zuteil werden könnten. Er will nicht Erlebtes beschreiben, nicht Stimmungen mitteilen – Ideen sollen Hölderlins Dichtungen ausdrücken. Konkrete Schilderungen des Sterbens sucht man deshalb bei Hölderlin vergeblich, die Furcht vor dem Tod wird niemals psychologisch ausschraffiert. Das Drama, in dem er sich explizit mit dem Sterben auseinandersetzt, Der Tod des Empedokles , besteht ja zu einem noch größeren Teil als der Hyperion aus erkenntnistheoretischen Gedanken, metaphysischen Analogien und dialektischen Prinzipien. Von Fassung zu Fassung hat Hölderlin die Aspekte getilgt, die dramatische Bewegung erzeugen können, gesellschaftlicher Konflikt, persönliche Leidenschaft, Streit zwischen Protagonisten, Entwicklung der Charaktere. Immer weiter hat er die »Verläugnung des Accidentellen« getrieben, die er sich vornahm. So ist auch das Thema des Empedokles zwar der Tod, aber nicht als Ende, sondern als Auflösung begriffen, als Einswerden, nachdem die ursprüngliche Identität mit der Natur zerbrach, die Hölderlin wie vor ihm den Mystikern eine Chiffre für Gott ist. »Sterben? nur ins Dunkel ists / Ein Schritt, und sehen möchtst du doch, mein Auge! / Du hast mir ausgedient, dienstfertiges! / Es muß die Nacht itzt eine Weile mir / Das Haupt umschatten. Aber freudig quillt / Aus mutger Brust die Flamme. Schauderndes / Verlangen! Was? am Tod entzündet mir / Das Leben sich zuletzt? und reichest du / Den Schreckensbecher, mir, den gärenden, / Natur! damit dein Sänger noch aus ihm / Die letzte der Begeisterungen trinke! / Zufrieden bin ichs, suche nun nichts mehr / Denn meine Opferstätte. Wohl ist mir. / O Iris Bogen über stürzenden / Gewässern, wenn die Wog in Silberwolken / Auffliegt, wie du bist, so ist meine Freude.« Ich hingegen habe den Eindruck, daß man, um das Beben zu spüren, das der Tod in den Lebenden auslöst, konkret werden muß bis hin zum Namen und allen Daten, um eine Wendung Ingeborg Bachmanns aus der ersten Frankfurter Poetikvorlesung zu übernehmen, bis hin zu den unscheinbarsten Beobachtungen und in der Physiognomie bis hin zum Photographischen. Als Idee birgt der Tod des Empedokles tiefere Einsicht in die Natur des Lebens und Vergehens. Doch wirklich mit der Diagnose konfrontiert, an Krebs erkrankt zu sein, rief ich eher mit der Priesterin Panthea: »So kann sein Untergang der meinige / Nicht sein.« Ernst Tugendhat, dessen Bücher ich mir zum Dank dafür besorgte, daß er mir am 15. Mai diesen Jahres den Flug nach Köln verkürzte, weist darauf hin, daß der Tod als allgemeine Einsicht allen Schrecken verliert. Als schrecklich erleben wir nicht das Wissen, irgendwann in nichts überzugehen, sondern die Mitteilung des Arztes, daß der Tod und die damit einhergehenden Qualen kurz bevorstehen . Daß alle Menschen sterben, geht mich nichts an. Daß auch meine Nächsten und ich irgendwann sterben werden, damit kann ich leben. Zum Skandal wird der Tod, der eigene und der unsrer Nächsten, nur im Präsens. Gegen Ende des Siebenkäs steht ein Monolog Leihgebers am Bett des scheintoten Firmian Siebenkäs, in dem Jean Paul alle Ironie fahrenläßt und alle Sprachgewalt aufbietet, um unnachahmlich ins Stottern zu geraten im Zustand des Schocks: Wieso stirbt jemand einfach so? Wenn der Tod ohne Grund ist, muß es auch das Leben sein: »Du armer Firmian, war denn deine Lebens-Partie à la guerre der Lichter und der Mühe wert? Zwar wir sind nicht die Spieler, sondern die Spielsachen, und unsern Kopf und unser Herz stößet der alte Tod als einen Ball über die grünende

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