Dein Name
daà jener ein Muslim sei, von dessen Hand und dessen Wort niemandem ein Schaden erwächst. Jetzt lassen Sie uns doch einmal überlegen, Gnädige Frau, ob nach dieser Definition wir die Muslime sind oder die Menschen hier, die wir als Ungläubige bezeichnen und von denen wir behaupten, daà sie die Hölle verdient hätten.«
»Merkwürdig, wohin mich das mächtige Gewicht meiner eigensinnigen Feder gezogen hat, ohne daà ich es bemerkt hätte!« fährt GroÃvater fort: »Darf man denn solche groÃen Themen in seine eigenen kleinen Erinnerungen einflechten?« Ja, möchte ich ihm zurufen, witziger und anschaulicher als den Wutanfall GroÃmutters und das Gespräch mit ihr haben Sie selten etwas erzählt. Ja, beantwortet er die Frage selbst, man dürfe, und führt dafür einen Gewährsmann an, einen bedeutenden Gelehrten, dessen Namen ich noch nie gehört habe. Die unglücklichen Umstände der Reise übergeht GroÃvater, erwähnt weder seinen Bruder Hassan, dem im St. Marien das Bein amputiert wurde, noch die Familie seines Neffen oder seiner Nichte: Wegen der Anfeindungen gegen die Bahais nach Deutschland ausgewandert, diagnostizierten die Kollegen meines Vaters der sieben- oder achtjährigen Tochter Krebs im Endstadium. Bis mein Vater ihnen eine Wohnung besorgte, in der sie die Zeit bis zum Tod ihres Kindes überbrückten, muÃten auch die Bahais in der kleinen Wohnung am Hang gegenüber vom St. Marien untergebracht werden. Ein einziges Symptom der Anspannung führt GroÃvater an, das jeden Tag neue Spannungen erzeugt haben dürfte: daà GroÃmutter so gut wie nichts aÃ, obwohl meine arme Mutter sich mit dem Kochen alle Mühe gab. Jeden Tag bereitete sie ein polo choresch oder ein abguscht zu, schlieÃlich galt es, sich vor ihren Eltern zu beweisen, aber GroÃmutter rührte nur mit dem Besteck im Reis. Wenn die Blicke meiner Mutter allzu dringlich wurden, führte sie den Löffel auch einmal an den Mund, als sähe niemand, daà sie die Lippen geschlossen hielt. Wie zum Hohn murmelte sie noch, daà ihr das Essen wirklich hervorragend schmecke. GroÃvater bemühte sich, die Stimmung aufzuhellen: »Also aà dieser Sklave jeden Tag, als müÃte er ihre Appetitlosigkeit wettmachen.« Ausführlicher schildert er die Untersuchungen, denen er sich im erstklassig ausgestatteten, sauberen und neungeschossigen St. Marien unterzog, und führt im Detail die Verordnungen der ausgezeichneten Ãrzte auf, an die er sich gewissenhaft hielt. Ãber Siegen selbst, obwohl er mit GroÃmutter, meiner Mutter und meinen Brüdern jeden Nachmittag ausgiebige Spaziergänge unternommen und alle Sehenswürdigkeiten besichtigt haben will (welche Sehenswürdigkeiten?), teilt GroÃvater nur mit, daà die Wälder ringsum sehr schön seien. Mehr als Siegen beeindruckte ihn die Vorbereitung auf den Urlaub, genauer gesagt, der Kauf einer vollständigen Camping-Ausstattung.
Zu den Jahren zwischen der Auswanderung der Eltern nach Deutschland und dem Besuch der GroÃeltern, fügt die Mutter ungefragt hinzu, als der Sohn sie wieder anruft, gehört die Reise selbst, also ihre Reise, meint sie, obwohl die des Vaters im Bus über Teheran, Istanbul nach München und weiter im Zug über Nürnberg nach Erlangen, das erst einmal auf der Landkarte gefunden werden wollte, nicht weniger abenteuerlich war. Vor Einsamkeit schickte er ihr jeden Tag einen Brief nach Isfahan, bis die Mutter endlich Sehnsucht genug hatte, ihm zu folgen, ungeachtet im Land der Franken nichts erreicht war, kein AbschluÃ, keine Arbeit, keine Wohnung, war noch nie im Leben allein gereist und niemals weiter als bis nach Teheran, hatte noch nie im Leben ein Flugzeug gesehen und bestieg schwindlig vor Aufregung die Gangway mit dem heutigen Orthopäden an der Hand und dem heutigen Internisten im Arm, die von den Wehklagen und Seufzern des Abschieds in Panik versetzt worden waren, flog mit KLM über Mailand nach München, wo sie sich nach der Landung vergeblich nach dem Vater umsah, weil über dem Land der Franken ein Schneesturm getobt hatte und das Flugzeug nach Istanbul umgekehrt war. Zwei Stunden dauerte es, bis die Mutter verstand, daà die deutschen oder italienischen Durchsagen und Anzeigen weder deutsch noch italienisch waren, sondern türkisch, da hatte sie schon das Gepäck vom Rollband genommen und den Zoll
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