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Dein Name

Titel: Dein Name Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Navid Kermani
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versuchen. Da sie sich nun einmal in den Kopf gesetzt hat, dieses Deutschland rundherum abzulehnen, in dem der Schwiegersohn die Tochter wie in einem Gefängnis festhält, bedürfte es schon einer Engelszunge, mit der Gott ihn nicht gesegnet hat, um sie versöhnlicher oder wenigstens diplomatischer zu stimmen. Also zeigt sich der alte Herr auf dem Beifahrersitz um so aufgeschlossener für die Sehenswürdigkeiten, die ihnen der Schwiegersohn präsentiert. Der nimmt die anerkennenden Bemerkungen des alten Herrn stets dankbar auf, bleibt gutgelaunt, höflich und voller Enthusiasmus – nur jetzt kann der Schwiegersohn seinen Ärger und die Anspannung nicht mehr überspielen: Der Mercedes-Benz 200, den er vom ersten Gehalt gebraucht gekauft hat, steckt in einer wassergefüllten Mulde des Feldweges fest und gibt keinen Laut mehr von sich. »Im Namen Gottes des Erbarmers und Barmherzigen!« meldet sich die Gnädige Frau von der Rückbank so, daß ein Fluch nicht blasphemischer klingen könnte. Kläglich bittet der Schwiegersohn die Familie auszusteigen. »Herr Doktor, können Sie mir erklären, wie wir aussteigen sollen, ohne naß zu werden wie ein Christenkind bei der Taufe?« fragt die Gnädige Frau den Schwiegersohn, dem der Schweiß ohnehin schon auf der Stirn steht: »Aber Sie, Herr Doktor, mußten uns ja unbedingt zu einem See führen, als ob wir aus Iran nur Wüste kennten.« Noch bevor der alte Herr die Zwangslage in mildere Worte kleiden kann, öffnet sie bereits die Tür, zieht sich Schuhe und Strümpfe aus, klemmt den Tschador unter die Achsel und tapert, ohne sich am Arm des herbeigeeilten Schwiegersohns festzuhalten, durchs knietiefe Wasser ins Trockene. Der Schwiegersohn reicht dem alten Herrn die Hand und trägt anschließend die Enkel aus dem Auto. Die Tochter, die noch unschlüssig ist, ob sie wieder ihrer Mutter oder diesmal ihrem Mann zürnen soll, folgt mit versteinertem Gesicht. Da stehen sie nun, vor der wassergefüllten Senke eines Feldwegs, darin der Mercedes-Benz, der nicht mehr anspringt, ringsum nur Wiesen und Äcker, weit und breit niemand, der helfen könnte, nichts zu hören als Vogelgezwitscher. »Ich gehe dann mal einen Abschleppdienst holen«, kündigt der Schwiegersohn an. »Einen was?« »Einen Abschleppdienst.« »Einen Abschleppdienst?« Ja, in Deutschland könne man eine Nummer anrufen, wenn das Auto liegenbleibt, erklärt der Schwiegersohn der Gnädigen Frau, dann komme kurz darauf ein Lastwagen, der das Auto mit einem Kran auf seine Ladefläche hebe und zu einer Werkstatt abschleppe. »Na, dann sind wir mal gespannt auf Ihren Abschleppdienst, Herr Doktor«, höhnt die Gnädige Frau und bittet den Schwiegersohn, den Teppich und das Essen aus dem Kofferraum zu bringen, bevor er einen Lastwagen mit Kran herbeizaubern gehe. Die Tochter flucht, die Enkel nörgeln, selbst der alte Herr seufzt vernehmlich, nur sie wirkt plötzlich so entspannt, ja, trotz des unaufgebbaren Sarkasmus beinah fröhlich, als habe ein Engel zu ihr gesprochen. Der alte Herr kennt das schon, wie ich es von meiner Mutter kenne: Sie brauchte nur die Bestätigung, recht zu haben – in diesem Fall mit ihrem Urteil über Deutschland, die angeblichen Sehenswürdigkeiten und den Feldweg, der nie und nimmer zum See führt –, schon löst sich alle Rechthaberei in Luft auf. Außerdem tut ihr der Schwiegersohn leid, den sie eigentlich schon gern hat, sonst würde sie ihm kaum so gepfeffert die Meinung sagen.
    Die Familie ist noch am Essen, als ein fremdes Auto heranfährt, aus dem drei Deutsche und der Schwiegersohn steigen. »Sag ihnen, sie sollen erst einmal ihren Hunger stillen«, weist die Gnädige Frau die Tochter an, als zwei der Deutschen sich Schuhe und Strümpfe ausziehen und ihre Hosenbeine hochkrempeln. So gestenreich der Schwiegersohn sie davon abzuhalten versucht, marschieren sie ins Wasser, um das Abschleppseil an den Mercedes-Benz zu binden. Die Landessprache geht dem Schwiegersohn noch keineswegs leicht über die Lippen. Er lebt zwar schon ein paar Jahre in Deutschland, fünf, um genau zu sein, aber wenn er nicht gerade für die Prüfungen büffelte, für die er vor allem Lateinkenntnisse benötigte, saß er in der Vorlesung oder im Labor, wo kaum Gelegenheit war, über den Fachjargon hinaus bereits die Alltagssprache zu üben. An

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