Dein Name
für sich selbst. Die Gnädige Frau wird ihm zugeredet haben, wie mit dem Freund in Köln vereinbart. Es ist Sonntag, der 1. Ramadan 1427. Er hatte sich den Wecker des Handys auf fünf Uhr gestellt, um vor dem Morgengrauen etwas zu essen, aber dann doch bis sieben geschlafen. Je nachdem, wie es um die Gnädige Frau steht, wird der Bildhauer etwas zum Hauptwerk sagen oder verbieten, daà ihre Namen je in dem Roman genannt werden, den ich schreibe. Alles, was er sagt, kann gegen den Freund verwendet werden, der noch nicht ahnt, daà er für die Veröffentlichung ohnehin alle Namen streichen wird auÃer von Toten und Dichtern.
Philip Roths Jedermann ist so reduziert auf das eine Thema des Sterbens, zielstrebig und in seinen Phasen vorhersehbar, daà ich lange Zeit danebenstand: Nein, es kriegt mich nicht. Ich weià genau, wo es mich packen will, an der allgemeinsten aller Einsichten, aber es kriegt mich nicht, das ist zu deutlich, das weià ich alles schon, das hat er alles bereits und komplexer erzählt. Ja, wir sterben alle, jedermann, aber das reicht nicht, das reicht nicht einmal für Roth, und das ganze Personal, das kennen wir doch, der vereinsamte geschiedene Mann, die Exfrau, die ihm zürnt, die junge Blöde, auf die er verfällt, die erwachsenen Kinder, die sich abwenden oder nicht, Lüsternheit und Selbstmitleid des Alten. »Das Alter ist kein Kampf; das Alter ist ein Massaker.« Ein solcher Satz, im Original bestimmt ebenso mit dem Semikolon dazwischen und dem zweifachen Anhub »das Alter ist â¦Â«, ohne unmittelbaren Anschluà an das Vorherige und als plötzlichen Wechsel von der Beobachtung in den Kommentar, dazu am Ende eines Absatzes plaziert, ein solcher Satz, den Roth sich aufgehoben hat, ist natürlich ein Hieb in die Kniekehlen, aber zugleich so kalkuliert versetzt, daà man im letzten Moment noch beiseite drehen kann. Dennoch wirkt der Schreck nach, und wenig später hat er mich doch gekriegt, mir eine bewegte Nacht und einen glücklich verdorbenen Tag beschert. Zugleich bleibt das Gefühl, daà etwas an dem Buch nicht stimmt. Der Tod ist erst dann bezeichnet, wenn es auch ein Leben gibt, indem er nicht vorkommt. Und deshalb, um Philip Roth bei aller Bewunderung für sein Werk und allem Respekt vor seinem Alter zu widersprechen, wird der Leser die Frage des Schwippschwagers bejahen, die ihn am 24. September 2006 um 19:43 Uhr per SMS erreicht hat. Normalerweise hätte er sich â einen Abend allein am Schreibtisch in Aussicht â entschuldigt, zumal er den Filmtips des Schwippschwagers miÃtraut, aber jetzt fällt ihm ein, wie lang er nicht mehr im Kino war, nicht im Konzert, nicht einmal in der Kneipe. Wer immer mit dem Ende rechnet, hat plötzlich Zeit. »Wann denn?« simst er um 20:23 Uhr zurück.
Zweimal streckt die Lungenentzündung den Vater, der mein UrgroÃvater wird, so nieder, daà kaum Hoffnung ist. Während der ersten Krankheit geht der Sohn, der mein GroÃvater wird, noch zur Schule, während der zweiten, 1931, ist er schon Leiter der Abteilung Korrespondenz und Ãbersetzung in der Nationalbank in Isfahan. Der Arzt ist bei beiden Krankheiten derselbe, Mirza Scheich Chan Hafez os-Sehhe, »Wächter der Gesundheit«, dessen Therapie darin besteht, dem Vater ein Tuch, das fortwährend mit kochendem Wasser benetzt wird, an die Seite zu binden. Eigens steht neben dem Bett ein Kohlenbecken, das Tag und Nacht glüht, darauf eine Schüssel. Während der ersten Lungenentzündung geschieht es, daà sich Hafez os-Sehhe mit einem verzweifelten Gesichtsausdruck vom Vater abwendet und das Haus verläÃt, ohne sich zu verabschieden. Die Zurückgelassenen sind wie gelähmt, schweigen mehrere Minuten bestürzt, da stürmt der Sohn dem Arzt nach und verfolgt ihn durch mehrere Gassen. »Ich flehe Sie an, ich bettle um Ihre Gewogenheit und Ihre weitere Unterstützung, Hochwürden, bitte, sagen Sie, wie es steht, ein Wort nur, bitte helfen Sie uns.« »Von mir ist keine Hilfe mehr«, sagt Hafez os-Sehhe schlieÃlich: »Wenn noch Hilfe ist, dann nur von Gott. Wenn du den Weg weiÃt, Junge, sprich an Seinem Palast vor. Wenn Er will, macht Er die Toten lebendig.« Es ist Winter, ein kalter Winter. Wie in Iran damals üblich, schläft die Familie unter den Decken, die rund um den Ofen in der Mitte des Zimmers ausgebreitet sind, am sogenannten Korsi , aber
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