Dein Name
gelesen, gesteht die Mutter.
Er hat Hoffnung, sagte der Bildhauer in München, begründete Hoffnung. Gestern abend rief er an, endlich, am ersten Abend, den er nicht am Bett der Gnädigen Frau wachte. Ob die Chemotherapie anschlägt, lieÃe sich erst nach dem vierten Zyklus sagen. Auch wenn der Abstand zwischen den Kapiteln gröÃer ist als erwartet â einen scheint es immer zu geben, den Gott markiert hat wie der Bauer das Schaf. Bis es geschlachtet wird, vergeht freilich zuviel Zeit, als daà der Freund in Köln warten könnte, daher der Aufbruch, der in allen Seelenreisen dem selbstbezogenen Anfang folgt. Ruhe in Friedenist schlieÃlich nicht nur ein Wunsch fürs Jenseits, sondern auch die Hoffnung der Hinterbliebenen, bald wieder in Ruhe gelassen zu werden vom Tod, in geregelter, Jahr für Jahr nachlassender Trauer. Am grauenvollsten seien die Stunden gewesen, als die Gnädige Frau wach lag, aber mit fremdem BewuÃtsein. Der Freund in Köln kennt das Rufen, das Schreien, die Panik nur zu genau, wenn Frage und Antwort nichts miteinander zu tun haben, obwohl die Sprache gleich ist. Wer behauptet, die Menschen und selbst die Lebenden würden einander nicht verstehen, hat niemals den Schock Waiblingers erlebt, vom Geliebten mit falschem Namen angesprochen zu werden: »Hölderlin lehnte seine rechte Hand auf einen an der Thüre stehenden Kasten, die linke lieà er in den Hosentaschen stecken, ein verschwitztes Hemd hieng ihm über den Leib und mit seinem geistvollen Auge sah er mich so mitleids- und jammerwürdig an, daà mir eiskalt durch Mark und Bein lief. Er redete mich nun Eure Königliche Majestät an ⦠Ich stand da, wie ein Gerichteter, die Zunge starrte, der Blick dunkelte, und mein Inneres durchzuckte ein furchtbares Gefühl.« Heute ist der letzte Sommertag, den der Freund in Köln noch vorschriftsgemäà genieÃen muÃ. Alle setzen auf deinen neuen Roman, rief der Verleger aus Zürich. Zehntausend werden sich gleich im ersten Schwung verkaufen, soll das heiÃen. Danach wird der Romanschreiber in die obligatorische Depression verfallen, weil Erfolg nicht alles ist. Sie, groÃgeschrieben, wissen es natürlich wieder besser. Wenn Sie das Hauptwerk vor sich haben, als Buch, als Ausdruck oder auch nur auf dem Bildschirm, wird der Roman, auf den der Verleger in Zürich setzt, längst erschienen und schon die erste Auflage bis auf die üblichen dreitausend für 1,95 Euro im modernen Antiquariat verramscht sein. Aber im Internet finden Sie den Titel bestimmt noch, schauen Sie einfach mal nach. Ach, richtig: Das Schwierigste am Roman, den ich schreibe, ist die Aussicht, daà er niemals endet. Die Erwägung, künstlich eine Zäsur zu setzen, nach hundert Toten oder einer geraden Anzahl von Jahren oder Seiten, ist bereits eine Niederlage. Erst jetzt merkt der Romanschreiber, wie wichtig es bei den Romanen war, wie er sie früher schrieb, daà sie einen Schluà hatten, wieviel Mut er aus ihrer Begrenztheit, ihrer Endlichkeit schöpfte.
Obwohl es in den vornehmeren Familien des neunzehnten Jahrhunderts kein Makel war, Opium zu rauchen, litt UrgroÃvater an seiner Abhängigkeit und machte sich Vorwürfe. Seine Kinder warnte er immer wieder vor den Folgen und verbot ihnen, bei der Vorbereitung der Pfeife zu helfen oder auch nur den Schlauch anzufassen. Als GroÃvater zehn oder elf war, hielt er einmal eine Zigarette in der Hand. Später kann er nicht mehr sagen, wie sie zwischen seine Finger geraten war, irgendwer hatte ihm die Zigarette zugesteckt, oder vielleicht brannte auf dem Boden eine Kippe, die er aufnahm, ohne sich viel dabei zu denken. Er weià noch, daà er im Hof seiner älteren Schwester stand, der Mutter des Ingenieurs und Doktors Rastegar. Die Rastegars, das war eine der Familien in der Verwandtschaft meiner Mutter. Wahrscheinlich habe ich sie deshalb nicht vor Augen, weil sie keine Kinder in meinem Alter hatten. In dem Augenblick, da er die Zigarette aus dem Mund führte, fiel sein Blick auf UrgroÃvater, der ihn von der Veranda aus beobachtete. Sofort schmià GroÃvater die Zigarette zu Boden und bedeckte sie mit seinem Schuh. UrgroÃvater stieg die vier Treppen hinab in den Hof und rief zornig: »Was soll das? Wo hast du die her? Was fällt dir ein?« Und jetzt kommtâs: GroÃvater antwortete nicht, er rannte einfach weg. Den Vater ohne Antwort stehenzulassen
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