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Dein Name

Titel: Dein Name Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Navid Kermani
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Eltern in den Armen hielten, möchten ihm erzählen, wovor Sie Angst haben, wonach Sie sich sehnen, möchten vielleicht Ihr eigenes Leben beschreiben, aber können es nicht, weil Sie für ihn dasein müssen, für den Sie in diesem Augenblick größer sind als alles auf Erden. Dabei möchte er mehr von Ihnen erfahren, soviel wie möglich. Er muß doch wissen, wer Sie sind, um Ihnen schreiben zu können.
    Lustig an seinem Tag vor sagen wir zehn Millionen Deutschen war die Begegnung mit dem türkischen Islam, der dasselbe Flugzeug nahm. Weil der türkische Islam rauchen wollte, traten sie nach dem Einchecken noch einmal ins Freie. An der Schwingtür wiederholten sie die Szene von Arafat und dem ebenso kleinen und stämmigen israelischen Ministerpräsidenten, wie in Camp David gefilmt von hinten: du zuerst, nein du, auf keinen Fall, aber sicher, und so weiter, eine Minute lang. Schließlich gab der iranische dem energischen Unterarm des türkischen Islam nach, was ihm bei einem deutschen Unterarm nie unterlaufen wäre. Weil die Kamerafrau ihren Gang nochmals drehen wollte, mußten sie die Situation nachstellen, und diesmal wurde es erst richtig lustig, weil sie das Klischee orientalischer Höflichkeit mit Vergnügen bedienten und nebenbei die Kamerafrau so attraktiv war, daß sie zwischen den Takes das Klischee orientalischer Gockel zugaben. Die sagen wir zehn Millionen Deutschen sahen abends nur, wie der iranische dem türkischen Islam auf dem Flug nach Berlin die Tagesordnung der Staatskonferenz zeigt und sie anfangen zu kichern. Nicht hören konnten die Deutschen den Türkenwitz, den der iranische Isalm machte, während sie von hinten gefilmt wurden im vorgeblich ernsten Gespräch. Überhaupt mußte die beiden sichergehen, daß bei ihrer Darbietung niemals der Ton mitgeschnitten wurde, und fragten mehrfach nach. Im Bus vom Flugzeug zum Terminal gestanden sie sich ein, worüber sie vor sagen wir zehn Millionen Deutschen kein Wort verloren, nämlich insgeheim natürlich mächtig stolz zu sein, daß ausgerechnet sie zwei Lausbuben die Religion ihrer Eltern beim deutschen Staat vertreten. – Wenn mein Großvater mich sähe, entfuhr es dem iranischen Islam. – War dein Großvater sehr fromm? fragte der türkische Islam nach. – Er gab uns allen die Religion zum Vorbild, antwortete der iranische Islam. Der türkische Islam, der zwei Wochen auf Lesereise war, hievte zusätzlich zum Handgepäck mit Plastiktüte zwei schwere Billigkoffer auf den Gepäckwagen, auf dem bereits der Koffer und das Handgepäck des iranischen Islam lagen, Ausländer eben, Souvenirs, Decken, Muttis Essen zum Fastenbrechen, Thermoskannen, Grill, alles dabei, wenn zwei Muslime für einen Tag in die Hauptstadt fliegen, der ganze Fundus. Abgeholt zum Gipfel wurden sie vom Kommilitonen des iranischen Islam aus dem Orientalistikstudium, der als Mitarbeiter der christdemokratischen Partei die Konferenz mit ausgeheckt hat, nur kam der Kommilitone nicht mit dem anthrazitfarbenen Cabriolet vorgefahren, der seinem neuen Stand angemessen ist, sondern mit dem Kleinwagen seiner Freundin, ein blaues Modell aus den achtziger Jahren. So hievten also der türkische und der iranische Islam im Gerangel – nein, ich nehme schon, nein ich, auf keinen Fall, aber sicher, und so weiter – die drei Koffer und das Handgepäck mit Plastiktüte in den Kofferraum des Kleinwagens, banden die Heckklappe mit einer Schnur zu und fuhren mit dem christdemokratischen Kommilitonen der Kamerafrau davon, Deutschland und der Islam auf dem Weg zur Staatskonferenz, zum Davonlaufen allerdings auch die Stimmung in der Öffentlichkeit, »Warum kuschen wir vor dem Islam?«, zehn Zentimeter hoch die Schlagzeile in den Zeitungskästen, aber wenn ein Innenminister vor sagen wir zehn Millionen Deutschen verkündet, daß der Islam ein Teil Deutschlands ist, ein Teil Europas, ein Teil unserer Zukunft, diese Aussage, mit Wucht vorgetragen und ohne Einschränkung, können die zwei Muslime noch so viele hate mails für ihre fröhlichen Gesichter im Fernsehen empfangen, sie kippen sich dennoch am Nachmittag in der erstbesten Eckkneipe zufrieden ein paar Bier hinunter. So muß der iranische Islam denn auch abends im Nachrichtenjournal beschwingt gewirkt haben, wie er hört, und der Freundin, die Bahai ist, gefiel sein Anzug. Die Chemotherapie hat gestern oder

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