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Dein Name

Titel: Dein Name Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Navid Kermani
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konnte einem iranischen Kind um die Jahrhundertwende nur im Affekt geschehen, nehme ich an; ich hätte es mir als Elfjähriger, obwohl ich unter den vier Brüdern seit jeher als der Aufsässige galt, gegenüber meinem iranischen Vater jedenfalls nie getraut, ich hätte den Vater trotzig angesehen oder zu Boden geschaut oder ein Widerwort gegeben, das hätte ich vielleicht getan, wenn ich all meinen Mut zusammengenommen hätte. Selbst das Widerwort zeigt noch Respekt an, ehterâm , wie auf persisch das Schlüsselwort für das Verhältnis zu den Älteren heißt. Ihn grußlos stehenzulassen muß auf Urgroßvater wie die Respektlosigkeit schlechthin gewirkt haben. Großvater erwähnt keine Strafe. Er ist sich nur sicher, absolut sicher, wie er bekräftigt, nie wieder im Leben eine Zigarette angerührt zu haben. So entschieden sei seine Ablehnung, daß andere sich über ihn lustig machten, und zwar nicht nur in seiner Jugend, wie er schreibt und ich weiß. Wenn auch liebevoll, verspotteten meine älteren Cousins durchaus Großvaters Marotten, seine Tugendhaftigkeit, seinen Ernst, nicht in seiner Anwesenheit, natürlich nicht, dennoch wird er sich seinen Teil gedacht haben, und wenn er sie dennoch mahnte, das Gebet zu verrichten oder ihre wertvolle Zeit nicht mit Kartenspielen zu vergeuden, verdrehten die Enkel auch schon mal die Augen. Urgroßvater tat alles für die Erziehung und Bildung seiner Kinder, selbst wo es über seine Verhältnisse ging. Er liebte sie, er ließ es ihnen an nichts fehlen, und doch war er niemand, der Gefühle zeigte, zeigen wollte. An dieser Stelle erzählt Großvater die Episode, wie er Urgroßvater die Hand küssen wollte. Er war mit seinen Mitschülern aus einem Grund, an den er sich nicht mehr erinnert, mitten im Schuljahr zu einem Besuch in Isfahan eingetroffen. Urgroßvater war nicht nur böse wegen des Handkusses, sondern auch wegen des verpaßten Unterrichts in Teheran, und wollte nichts wissen von einem Grund, welchem auch immer, wollte Großvater die ersten Tage nicht einmal empfangen.
    Die Gnädige Frau meldet sich in München selbst, nicht der Bildhauer, der Anrufbeantworter oder das Fax. Heute war sie zum ersten Mal eine Viertelstunde vor der Tür, Spätsommer, sie sind spazierengefahren durch die Stadt. Daß sie die Unruhe, die Schlaflosigkeit, die sie jetzt mit Medizin bekämpft, die Schwäche benennen kann, ist ein gewaltiger Fortschritt für die paar Tage. – Wie geht es deiner Frau? fragt sie als erstes. Wie verwandelt wirke sie auf ihn, antwortet der Freund aus Köln, ohne nachzudenken, als spräche er mit der Gnädigen Frau wie immer, nein, nicht wie verwandelt, sondern verwandelt. – Ich verstehe deine Frau so gut, seufzt die Gnädige Frau und fügt hinzu, daß sie sich selbst dabei beobachte, unerträglich zu sein für den Bildhauer. Vorhin habe sie ihn zur Schnecke gemacht, weil sie mit dem Friseur, den er ins Haus bestellt hatte, nicht zufrieden war. – Das ist die Krankheit, sagt die Gnädige Frau, das ist man nicht selbst. Später werde sie den Bildhauer um Verzeihung bitten, kündigt sie an und meint, wenn sie wieder gesund ist. Sie begreife nicht seine Geduld und Fürsorge, die jedes Maß übersteigen. Wie ein Pfleger sei er zu ihr, rund um die Uhr, als habe er nie etwas anderes gelernt. – Das ist Liebe, Gnädige Frau! sagt der Freund. – Sag doch nicht immer Gnädige Frau zu mir. – Wenn er krank wäre, würden Sie sich genauso um ihn kümmern, ist der Freund überzeugt. – Nach einer Woche würde mir eine Ausrede einfallen, kichert die Gnädige Frau.
    Im Nachrichtenmagazin, das er sich vor dem Abflug in Stockholm besorgte, um nach der Landung in Hamburg eine Blattkritik aus außereuropäischer Perspektive vorzutragen, wie die Reporterin, deren Mutter im Sterben liegt, den Auftrag umriß, studiert der Orientalist am Donnerstag, dem 21. September 2006, um 10:48 Uhr die Titelgeschichte über die Sexualität in langjährigen Beziehungen und was realistisch zu erwarten sei. Loben wird er die Redaktion für den Hinweis auf die sogenannte Neue Monogamie, in der sich die Partner begrenzte Freiheiten lassen, kritisieren hingegen auftragsgemäß den Eurozentrismus: Gestern abend erst unterhielt er sich mit den Koreferenten der Konferenz, für die er nach Stockholm geflogen war, über

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