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weglieÃen, was ihnen einfiel, bald mittags, bald auch so spät abends zurückkehrten, daà die Männerwelt heute noch ausrasten würde: »Solche Herrlichkeit zernichtet uns Arme«, hat Hölderlin dies nicht nur als Mystiker erfahren. Die Jungfräulichkeit interessiert Caravaggio nicht, nicht die der elftausend, die nur Einbildung sind, wie mich zwei Leser aufklärten, als der Absatz über das Kölner Bild erschien, und nicht die Jungfräulichkeit Ursulas. Zugegeben, eingestanden, vorausgeschickt, daà es nur meine Einbildung ist, um keinen weiteren Leserbrief zu riskieren, die Einbildung des Vaters, der seine Kinder drei Wochen nicht sieht â aber könnte Ursula mit dem gewölbten roten Umgang über dem Bauch nicht schwanger sein? Dann würde sie mit ihren fleischigen Händen, die kontrapunktisch den sex appeal noch steigern, nicht an die Wunde greifen, was sie bei genauerem Hinsehen gar nicht tut, sondern nach dem Kind tasten, ob es noch lebt. Und der Soldat hielte seine Hand nicht zu tief, um den Pfeil abzuwehren, sondern instinktiv vor ihren Bauch. Seit Das Martyrium der heiligen Ursula restauriert wurde, steht sein Mund offen und blickt er nicht mehr resigniert, weltlicher oder überweltlicher Herrschaft ergeben, sondern ist genau in dem Moment dargestellt, der Blutstrahl erst wenige Zentimeter lang und also erst Zehntelsekunden unterwegs, bevor er resignieren könnte oder wahrscheinlicher zusammenbricht, womöglich dem Herrscher an die Kehle springt, dem weltlichen oder dem überweltlichen. Der Bärtige hinter Ursula sieht Caravaggio nun noch ähnlicher, wenngleich ohne die kaum vernarbten Wunden, die sein Gesicht entstellten, seit ihn die maltesischen Verfolger am 24. Oktober 1609 in Neapel überfallen hatten. Er als einziger erfaÃt bereits, als habe er es vorausgesehen, was Ursula widerfährt, Orsola, Orsola, wie es im damaligen Italienischen vielleicht fremd und geheimnisvoll klang und jedenfalls nicht so hausbacken wie heute im Deutschen, mehr noch: er stöhnt auf, der Bärtige ohne Narben, als sei er getroffen, nicht Orsola, oder als sei der Pfeil durch Orsola und das dann wahrscheinlich doch gemeinsame Kind auch in sein Herz gedrungen. Wünschte Caravaggio sich mit ungefähr vierzig Jahren etwa keine Kinder? Ich mit ungefähr vierzig Jahren kann mir das in Rom nicht vorstellen, nicht am 14. Dezember 2008, da die Frühgeborene gestern in Köln ihre ersten zwei Schritte allein lief, und heute morgen waren es bereits drei. Caravaggios Martyrium â zugegeben, eingestanden, vorausgeschickt: ein Martyrium nur in seiner eigenen und der Einbildung seiner Nachwelt â vollendete sich wenige Wochen, höchstens, drei, vier Monate später am 18. Juli 1610. Daà er sich wirklich heimgesucht sah, gibt selbst die Kunstgeschichte zu. Seit es restauriert wurde, zeigt sich auf dem Martyrium der heiligen Ursula schon farblich kein Verlöschen mehr, keine Ergebung, kein Abschied, vielmehr Aufschrei und Wut, nicht des Unrettbaren, noch nicht, vielmehr des Flüchtlings, des darbenden, angefochtenen, tausendfach geärgerten, aber noch schnell schlagenden Herzens. Die Szene ist jetzt wie von einer Laterne fahl erleucht und nicht mehr wie in einem Studio an einzelnen Spots, und das Poröse, das beinah Skizzenhafte tritt so deutlich wie auf den anderen Bildern zutage, die er während seiner vierjährigen Irrfahrt durch halb Italien bis nach Malta und zurück nach Neapel hinterlieÃ. Die Farben sind so wenige, als habe er nur eine winzige oder unvollständige Palette mitgeführt, und statt monochrom wie Seide sind die Flächen grob wie die Erde, auf der Caravaggio oft schlief. Das Flüchtige der Linien und Grundierungen, das seinem eigenen Status entsprach, erzeugt jene Wirkung, die YouTube manchmal im Gemüt hinterläÃt, wenn jemand bei einem groÃen Unglück, einem Mord oder einer Hinrichtung Aufnahmen mit seinem Handy gemacht hat, oft, aber nicht notwendig heimlich. Notwendig ist das Flüchtige, ohne das Heiliges noch nie darstellbar war, obschon Caravaggios früherer Realismus den Gegenbeweis liefert. Kurz nach dem Martyrium der heiligen Ursula brach er erneut auf, wurde erneut verhaftet, verlor sein Gepäck mitsamt jener Gemälde, die er deshalb nicht hinterlieÃ, und der Palette, wanderte närrisch geworden am Strand oder, wie die Kunstgeschichte enttäuscht: ritt bequem auf der Via
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