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Dein Name

Titel: Dein Name Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Navid Kermani
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Pir, den Ajatollah Hadsch Agha Rahim Arbab, führte allein schon der Umtausch des Knirpses die moralische Überlegenheit der christlichen Welt vor Augen: »Meine Freunde«, sagte der Pir beklommen in die Runde der Derwische, als Großvater von seine Reise berichtet hatte, »jetzt gehen Sie morgen einmal in den Basar der Muslime und kaufen Sie Ihrer Frau Gemahlin ein Stück ungeschnittenen Stoff, egal von welchem dieser Herren Hadschi Agha Geschäftsinhaber, ob sein Bart dem des Propheten gleich mit Henna gefärbt oder in der Würde des Alters weiß geworden ist. Und dann kehren Sie am nächsten Tag, weil die Farbe Ihrer Frau Gemahlin nicht zusagte, mit dem Stoff, den Sie nicht einmal aufgerollt haben, zu dem gleichen Herrn Hadschi Agha Geschäftsinhaber zurück: Er wird Gott den Gerechten als Zeugen anrufen, um bei dem Leben seiner vier Kinder und fünfzehn Enkel zu beschwören, daß Sie den Stoff bei jemand anders gekauft haben.« Das war keine Wiedergeburt, das war mehr Beistand, daß Großvater nach Möglichkeit täglich, aber mindestens freitags zum Gemeinschaftsgebet in die Moschee ging, solidarisch im Augenblick eines Sturzes.
    Â»Zerbrecht alle Kameras!« ruft jemand. Er sagt nicht, zerstört oder beschlagnahmt sie. Er sagt: Zerbrecht sie, so wie Ajatollah Chomeini einst befahl: Zerbrecht sie – die Federn. Die Federn der iranischen Dichter, meinte er. Vielleicht sind diesmal aber auch die Kameras des Geheimdienstes gemeint. Am Mittwoch, dem 17. Dezember 2006, kann die Nummer zehn um 3:56 Uhr immer noch nicht schlafen, weil sie sich wieder in YouTube verfing. Eine dreispurige Einbahnstraße in Teheran, nachts, dichter Verkehr. Dazwischen Männer, die eilig die Bürgersteige wechseln. Die Autos kommen nur im Schrittempo voran. Das Blaulicht einer weißgrünen Polizeilimousine, die in entgegengesetzter Fahrtrichtung parkt, deutsches Fabrikat. Männer auf dem Moped halten an. Das müssen die berüchtigten zivilen Milizen sein, bei denen der Schlagstock besonders locker sitzt. Tatsächlich rennt ein Bärtiger mit Schlagstock durchs Bild. Schreie, Rufe, nicht zu verstehen. Ganze Menschenpulks werden abgedrängt, von Zivilisten, den Mopedfahrern vielleicht. »Ruft die Jungs an, sie sollen schnell kommen«, brüllt jemand. Ältere Frauen im traditionellen weißen Tschador strömen auf die Straße, die Hände ausgebreitet, außerdem immer mehr junge Männer, mit Bart und ohne, manche von ihnen mit Schlagstöcken, andere mit Baseballkappen. Die Milizen sind von den Demonstranten kaum zu unterscheiden. Rufe: »Der Herr hat gesagt, wir sollen uns am Ende der Gasse versammeln.« Das Video zeigt einen der Versuche, den Herrn festzunehmen, der für die Islamische Republik zu traditionalistisch ist. Am 3. Oktober 2005 stemmten sich seine Anhänger mitsamt den Nachbarn im armen Teheraner Süden schließlich erfolgreich gegen die Milizen. Fünf Tage später setzte sich der Staatsanwalt durch. Bis nach China ist von Panzerwagen zu lesen, die eingesetzt worden seien, Hubschraubern, Tränengas, scharfer Munition. Fünf Menschen seien gestorben, vor Aufregung die greise Mutter. Von den fünfhundert Menschen, die verhaftet worden seien, sollen hundertzwanzig noch im Gefängnis sitzen. Inzwischen habe der Staatsanwalt im »Sondergericht für die Geistlichkeit« die Todesstrafe für den Traditionalisten und siebzehn seiner Anhänger beantragt. Einige der Vorwürfe: Gefährdung der Sicherheit des Landes, Unruhestiftung, Infragestellung der »Islamischen Ordnung«, die Behauptung, in Iran herrsche eine »Diktatur des Klerus«. Das Verfahren ist geheim. Die Anwälte haben keinen Kontakt zu den Mandanten. Den Zeitungen, die in Iran erscheinen, ist nicht einmal erlaubt, den Traditionalisten beim Namen zu nennen. »Ein unzufriedener Geistlicher«, heißt es in den wenigen Meldungen. Der Grund ist offensichtlich: Ajatollahs wie dieser füllen mit ihrer Anhängerschaft auf Zuruf ganze Fußballstadien. Der Traditionalist, der einer der angesehensten Gelehrtenfamilien der Landes angehört, ist radikaler Säkularist, aber nicht, weil er einem aufgeklärten, mit westlichen Denkschulen korrespondierenden Reformislam anhängt, von dem kurz vor seinem Tod noch Richard Rorty so hoffnungsfroh berichtete. Im Gegenteil: Er ist ein Geistlicher uralten Schlages. Er steht für die gerade in

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