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Dein Name

Titel: Dein Name Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Navid Kermani
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gewesen wäre, ein Buch zu schreiben. Das ist auch wieder eine Übertreibung, nehme ich an, immerhin war er noch kräftig genug, für die Revolution zu demonstrieren und nach der Revolution in vielen Amtsstuben um Tschamtaghi zu kämpfen. Ich lege mich aufgrund des Umstands fest, daß Großvater weder die Revolution noch die Besetzung Tschamtaghis erwähnt, wo meine kostbarsten Erinnerungen an Iran spielen, die kostbarsten Erinnerungen der Brüder, wie sie sagten, der Mutter, wie sie schreibt, wahrscheinlich der gesamten Familie. Allen schien es leicht ums Herz zu werden, wenn wir in den Hof einfuhren, um den herum das Gebäude steht, und noch vor dem Ausladen auf die große Terrasse hinterm Haus traten, um die leuchtend-braunen Berge ringsum zu betrachten, den Wald, der sich in Etagen den Hügel hinabzieht, und den reißenden Fluß im Tal, der Leben spendet. Die Farben! Wenn ich etwas vor Augen habe, ist es das das Vibrieren der Farben, das Kraftstrotzen der Farben, das Geldumsichwerfen der Farben wie auf einer iranischen Hochzeit, ringsum das Braun, wie gesagt, das mit dem Blau des Himmels, dem Grün der Bäume und den weißen Kirschblüten die Palette eines Expressionisten bildete, überhaupt die Blumen inmitten der Ödnis, überall Wasser und im Sommer das Obst. Ein kleines Stück behielten wir ja, zwischen dem Haupthaus aus Ziegel und dem Verwalterhof aus Lehm einige hundert Meter, die sich seitwärts hinab zum Fluß erstreckten. Mehr als ein Garten war es für Großvater nicht mehr, obwohl es mir immer noch riesig erschien. Als er längst tot war und ich nach zwölf Jahren wieder nach Iran zurückkehrte, fuhren wir noch regelmäßig hin, ohne allerdings zu übernachten, da von dem Gebäude nicht einmal mehr der Putz übrig war, keine Fenster, keine Türen. Auch hieß es, daß Tschamtaghi nachts nicht sicher genug sei. Das Essen brachten wir mit und rollten wie früher Teppiche aus, auf denen wir aßen, quasselten und spielten, vielleicht hatte jemand auch eine Laute dabei, ein anderer die Trommel, immer noch zwanzig, fünfundzwanzig Verwandte und Freunde auf der Terrasse, obwohl die meisten Cousins und Cousinen bereits in Amerika lebten. Bald flanierten die Männer unter den Bäumen, ging die Mutter mit den Tanten auf den Hügeln ringsum spazieren, rannten die Kinder zum Fluß, sprangen wir, wenn Sommer war, von den Bäumen ins Wasser und ließen uns manchmal einen halben oder ganzen Kilometer treiben, in Badehose durch den Wald oder über die Landstraße zurück, während die Erwachsenen auf Gaskochern den Tee zubereiteten, die Kissen und Backgammonbretter aus den Wagen holten, ebenso die Wasserpfeife, falls die Großtante mitfuhr, Großvaters Schwägerin mit dem Marlene-Dietrich-Gesicht und dem Schalk im Nacken, der leider zu steif geworden war, als daß sie noch mittanzen konnte, denn immer wurde getanzt, immer, selbst in den düstersten Jahren, als niemand einen Radiorekorder mitbrachte, weil die Nachbarn, von denen manche uns nicht wohlgesinnt waren, wie ich spürte, ohne damals die Gründe zu kennen, das Komitee rufen konnte, Tanzen war verboten, laute Musik war verboten, Frauen ohne Kopftuch waren verboten, Männer und Frauen zusammen waren verboten, in Badehose auf der Landstraße zu gehen war sowieso verboten und erst recht der Wodka, den irgendwer dann doch mitgebracht hatte, da Großvater nicht mehr wachte, und ein anderer drehte sein Autoradio auf volle Lautstärke, in dem bereits die verbotene Tanzmusik lief. Ich kann kein Stück von Tschechow sehen, ohne an Tschamtaghi zu denken, mir Tschamtaghi vorzustellen, meine Familie als Tschechowsche Figuren, die erkannt haben, daß ihre Sommerfrische abgelaufen ist und sie deshalb um so gründlicher genießen, die Frühlinge und Sommer. Auch für die Studentengruppen, für die wir gegen Ende meines Studiums in Isfahan Sprachkurse organisierten, war der Ausflug der herrlichste Tag ihrer Reise, wie sie oft sagten, in ihren Berichten schrieben oder mindestens dachten, denken mußten, so herrlich fand ich es jedesmal selbst, egal wie mich ihre Ansprüche sonst zermürbten und besonders die Mentalität der Deutschen, über die sich sogar die armenischen Sandwich-Verkäufer in Dscholfa beschwerten, deren höfliche Aufforderung, nichts zu bezahlen, die Deutschen für bare Münze nahmen, so daß sie

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