Dein Name
mir am Grab unseres Vorfahren zu beten. Damals interessierte ich mich nicht sonderlich für diese alten Geschichten. Jetzt weià ich, wer dort liegt. Sein Ansehen oder sein Einkommen müssen immens gewesen sein, allein das Haus, das Hadsch Mollah Schafi Choà in der Darugheh-Gasse erwarb, mit einer Grundfläche von zweitausend Quadratmetern so geräumig, daà er es sich leisten konnte, einen sogenannten russischen Saal zeit seines Lebens nicht zu betreten, weil er einst vor den Russen geflohen war. Ich nehme an, daà es kein Privatpalast war, sondern zugleich das Amt, von dem aus er den Fünften seiner Anhänger verwaltete. Den Hof schmückte ein kleineres Becken von fünf mal acht Metern und den Garten ein See von etwa zwanzig Metern Durchmesser. GroÃvater ist nicht sicher, ob das Gebäude noch immer steht. Wie er hört, hat es die Denkmalschutzbehörde von den späteren Eigentümern übernommen oder jedenfalls als Denkmal registriert. Sieben Kinder hinterlieà Hadsch Mollah Schafi ChoÃ: die Söhne Abdolhossein, Mohsen, Hassan, Ali und Mohammad Taghi, der mein UrurgroÃvater ist, sowie die Töchter Malak Soltan und Fatemeh Soltan. Bis auf den Zweig des vierten Sohns Ali, der nach Indien auswanderte, läÃt sich der Stammbaum bis in die Gegenwart vollständig verfolgen, schreibt GroÃvater und schätzt die Zahl der Schafizadehs, der »Nachfahren des Schafi«, die heute in Isfahan leben, auf ungefähr tausend. Zum Glück verzichtet er diesmal darauf, alle Namen anzuführen. Wie es seine Art ist, betont GroÃvater, daà die meisten Berichte über das Leben des Hadsch Mollah Schafi Choà mündlich überliefert und daher wissenschaftlich keineswegs gesichert seien. Und überhaupt: Wer immer Hadsch Mollah Schafi Choà war, welchen Ruhm er sich erwarb â zweihundert Jahre später gebe es keinen Grund, stolz zu sein oder sich gar mit ihm zu brüsten, schlieÃlich sei man nur für seine eigenen Werke verantwortlich, nicht für seine Herkunft.
Die Kartons verschickt, der Wagen beladen, Ãl und Kühlwasser kontrolliert, zu Ehren der Mutter selbst das Obst für die morgige Reise bereits verstaut. Als vorletzte Arbeitshandlung an der Deutschen Akademie in Rom hat die Nummer zehn die Musik für die Silvesterfeier zusammengestellt, die bereits mit dem Abendessen begonnen hat. Getanzt wird sicher nicht vor elf, so daà noch ein, zwei Stunden bleiben, um den Musiker in München anzurufen und den ersten und wahrscheinlich letzten Neujahrsgruà an die ehemalige Freundin von Nummer sechs zu simsen. AuÃerdem muà er noch die Photos und Postkarten abnehmen, die er gegen die Gewohnheit an die Wand geklebt hat. Für den Schluà aufgehoben hat er sich die Photos und Postkarten, die er im Roman, den ich schreibe, noch unterbringen wollte, in ZeichenblockgröÃe die beinah schwebende Madonna der Pilger mit dem riesenhaften Jesusbaby und dem flüchtig gemalten, gleichsam unscharfen Gesicht des Betenden, das genau in der Mitte plaziert ist, als ob, als ob â ja, also ob was? Seit er zum ersten Mal vor dem Bild in SantâAgostino stand, fragt er sich, was es bedeuten könne, daà ausgerechnet das Zentrum verschwommen ist, nicht einmal der äuÃerste Rand des linken Auges zu erkennen, obwohl es der Perspektive des Betrachters widerspricht. Daà die Hose des Betenden randlos in die Haut flieÃt, muà mit dem gleichen Geheimnis zu tun haben, für das sich die Kunstgeschichte nicht interessiert. Dafür klärt sie auf, daà Matthäus gar nicht der Junge am Ende des Tischs sei, der auf sein Geld starrt, sondern der Bärtige, der mit dem Finger angeblich auf sich selbst zeigt. Die Theorie der Berufung, die Nummer zehn dennoch an die Zeitung geschickt hat, bricht damit vollständig zusammen. Zugegeben sind die Argumente der Minderheit unter den Kunstgeschichtlern dürftig, die seine Meinung teilt. Alle biblischen Umstände und szenischen Signale sprechen für den Bärtigen, und doch hat Caravaggio das Bild bestimmt nicht zufällig so gemalt, daà beide Finger zumal für den Betrachter in San Luigi dei Francesi, der die Szene von links unten sieht, auf den Jungen am Ende des Tisches zu weisen scheinen. Offenbar führte Caravaggio die Ambivalenz oder den Irrtum bewuÃt herbei, den die Kunstgeschichtler aufdecken. Als nächstes legt die Nummer zehn Tizians veronesische
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