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heute zu richten? Die Roten Brigaden, um die Peltzer die Handlung spinnt, sind eine bloÃe Leerstelle; wie in mystischer Dichtung, die niemals Gott, sondern die Reise zu Gott beschreibt, treten sie nie auf, noch sagen sie etwas. Peltzer stellt genau diese Frage, es ist eine einzige Frage â an wen?, wenn vor den Monitoren ebenso verlorene Menschen sitzen wie vor den Objektiven, an den Schreibtischen und in den Uniformen, per se keiner schlechter als der andere. Nach der Lektüre seines Romans will man die ganze Zeit mit dem Kopf gegen die Häuserwände anrennen, um die Wirklichkeit zum Einstürzen zu bringen. Die Gasse gefiel Peltzer als ein Stück unversiegelter Realität, auf dem Weg zum Salon die neuerdings erleuchtete Marienfigur überm Kebab-Restaurant, die Eisenwaren neben dem blonden Syrer, nach dem Salon der Trinkspruch von Heimito von Doderer: »Leben: es wird uns ein fremder Hut aufgesetzt auf einen Kopf, den wir gar nicht haben.«
Um immerhin ein Beispiel für die Tumulte zu geben, die die WeiÃe Revolution begleiteten, berichtet GroÃvater von der Anklage wegen versuchten Mordes, die ein Bauer aus Kartschegan gegen den Dorfvorsteher, einen Vogt und drei weitere Bauern erhob: Wie die Umstände waren, nahmen die Behörden die Anschuldigung ernst, obwohl die Beweise nach Ansicht GroÃvaters, der alle Beteiligten kannte, offensichtlich konstruiert und die Zeugen gekauft waren. Als es zur Verhandlung vor dem Gericht in Isfahan kam, die GroÃvater als Zuschauer verfolgte, wies der Kläger plötzlich auf ihn und schrie: »Dort sitzt der Auftraggeber!« Einige Wochen vor dem Anschlag habe der Kläger nachts an der Brücke der DreiunddreiÃig Bögen in Isfahan gesessen und den Vollmond bewundert, da habe GroÃvater ihn angetippt und gedroht, ihn umbringen zu lassen, falls er weiter auf der Enteignung poche. GroÃvater konnte sich vor Zorn, Scham und Abscheu kaum beruhigen, obschon der Vorwurf nicht weiterverfolgt wurde, da der Richter neben anderen Ungereimtheiten auch noch feststellte, daà in der betreffenden Nacht Neumond gewesen war. Die Anklage gegen die übrigen fünf Verdächtigen wies er jedoch nicht ab, dazu war die Stimmung in der Gesellschaft und auch im Gerichtssaal zu feindlich gegenüber den Vertretern des alten Feudalsystems. Das Verfahren wurde an ein Militärgericht in Schiraz verwiesen, wo die Angeklagten schuldig gesprochen worden wären, wenn der Leiter der Isfahaner Gendarmerie, Oberst Farasat, dem die Zweifel keine Ruhe lieÃen, nicht einen verdeckten Ermittler nach Kartschegan geschickt hätte. Obschon dieser im Dorf nicht länger als eine halbe Stunde verdeckt blieb, kehrte er mit der GewiÃheit zurück, daà der Bauer sich das Mordkomplott nur ausgedacht hatte, um Konkurrenten bei der Landvergabe aus dem Weg zu räumen. Die Gerichte selbst, weder in Isfahan noch in Schiraz, hatten es nicht für nötig befunden, vor Ort Erkundigungen einzuziehen oder andere Dorfbewohner als Zeugen vorzuladen, schlieÃlich war es nur ein Streit unter Bauern. Durch die zweijährige Untersuchungshaft seelisch wie materiell ruiniert, kehrten der Dorfvorsteher, der Vogt und die drei Bauern nach Kartschegan zurück. Der Kläger, der für seine Verleumdung nicht zur Rechenschaft gezogen wurde, war in der Zwischenzeit zu dem erhofften Grundbesitz gelangt, konnte indes die Schulden nicht zurückzahlen, muÃte den Besitz bald wieder verkaufen und zog mit seiner Frau und den Kindern mittellos in die Stadt, wo sich seine Spur wie die Spur von fast allen Bauern verläuft, die für die Nachfahren des Schafi gearbeitet haben. Bei den Revolutionsmärschen zehn, fünfzehn Jahre später könnten sie sich wieder begegnet sein.
Verabschiedet wurde die WeiÃe Revolution am 26. Januar 1963, also wenige Tage nach GroÃvaters Ankunft in Siegen, aber die Sorgen müssen ihn schon auf dem Flug begleitet haben. Bereits 1959 hatte der Schah eine Bodenreform angekündigt. Auch wenn das Gesetz, das vier Jahre später in Kraft trat, bei weitem nicht so radikal ausfiel, wie es der erste Entwurf oder gar die Nationale Front vorgesehen hatte, muà das Entsetzen groà gewesen sein. In GroÃvaters Reisebericht steht davon nichts, und in all den Jahren, da wir am Wochenende oder in den Sommerferien nach Tschamtaghi fuhren, habe ich die benachbarten Dörfer Kartschegan und Berendschegan nie betreten. Es hieÃ
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